Autoren: Dr. Matthias Postina, EWE AG

Von der Potentialanalyse zur BrainWave

Das Wort Potentialanalyse sorgt üblicherweise in den wenigsten Kontexten für Begeisterungsstürme bei denjenigen, die man überzeugen möchte daran mitzuwirken. Dabei ist diese Phase wesentlich für die Beurteilung einer Idee hinsichtlich der Machbarkeit und der Marktrelevanz, insbesondere bezogen auf die Entwicklung datenbasierter Produkte bzw. Geschäftsmodelle. Schließlich ist im erheblichen Maße beim geplanten Einsatz von maschinellen Lernverfahren zur Lösung eines Problems das Ergebnis im Vorhinein in der Regel nicht ohne eine eben solche Potentialanalyse abzuschätzen. Erschwerend kommt hinzu, dass für viele Menschen das datenbasierte Lösen von Problemen in ihrem Arbeitsalltag nicht unbedingt eine große Rolle spielt bzw. in der Vergangenheit gespielt hat.

Somit stellte für das EWE DataLab neben der Ideengenerierung das Finden von geeigneten Partnern für eine Potentialanalyse zum Einsatz von maschinellen Lernverfahren und zur Annäherung an ein datenbasiertes Geschäftsmodell im Kontext von enera eine Herausforderung dar, der es zu begegnen galt.

Für die Ideenidentifikation wurden unterschiedliche Formate ausprobiert; es stellte sich dabei heraus, dass eine Mischung aus Lehrangebot und Ideenakquiseformat – das sogenannte DataThinking – hier eine ausgezeichnete Kombination darstellte. Für die Durchführung einer fundierten Potentialanalyse waren im EWE DataLab schon kurz vor Beginn von enera im Rahmen eines 12-wöchigen Hackathons bei EWE Netz erste Erfahrungen für ein Kooperationsformat zwischen DataScientist und Mitarbeitern unterschiedlicher Fachabteilungen gesammelt worden. Diese Erfahrungen erwiesen sich nun mit Projektstart für die Ausgestaltung dieser wichtigen Phase als sehr wertvolles Vorwissen. Weiterhin verlief der auch mit externen Mitarbeitern in der Rolle DataScientist durchgeführte Hackathon ebenso hinsichtlich des Personalrecruitings für das sich im Aufbau befindliche DataLab sehr erfolgreich.

Was bei der Konzeption der Potentialanalyse im Kontext des Innovationsprozesses (bestehend aus Ideengenerierung, Potentialanalyse, Demonstration) noch fehlte und sich im Nachhinein, was die Bereitschaft zur Mitwirkung durch Partner und Fachbereiche anbelangt, als ein wesentlicher Erfolgsbaustein erweisen sollte war ein geschicktes Marketing für die Zusammenarbeit. In diesem Zusammenhang wurde bereits im zweiten Monat der Projektphase von enera der Begriff „BrainWave“ als Synonym für „Potentialanalyse zur Vorbereitung eines datenbasierten Geschäftsmodells“ geprägt und entwickelte sich im Laufe des Projektes sowohl zum methodischen als auch auf das Ergebnis der Potentialanalyse bezogene „Markenprodukt“ des EWE DataLab.

Die Methode „BrainWave“

Das Vorgehensmodell der Brain Wave Methode orientiert sich am „Cross Industrie Standard Process for Data Mining“ (CRISP-DM) der im Laufe der Projektzeit fortwährend an die Notwendigkeiten im Projekt angepasst wurde. Die Ideenidentifikationsphase (Data-Thinking) läge in diesem Fall noch außerhalb des Schaubilds – noch vor dem Prozessschritt „Business Understanding“. Da dabei der Bedarf nach KI-Einsatz bzw. Datenanalysefähigkeit in den Fachbereichen noch aktiviert werden muss, hat sich dazu die Erweiterung von CRISP-DM um Data-Thinking, also einem „Business Activation“ Prozessschritt, als sehr erfolgreich herausgestellt. Danach folgt die BrainWave als Potentialanalyse der von CRISP-DM vorgeschlagenen Gliederung in die weiteren Schritte „Data Understanding“, „Data-Preparation“, „Modeling“ und „Evaluation“. Diese Schritte müssen auch bei der BrainWave nicht sequenziell durchlaufen werden, es ist auch eine Rückkehr in einen vorherigen Prozessschritt oder der Rücksprung in noch frühere Prozessschritte jederzeit möglich. Ebenso sieht die BrainWave das mehrfache Durchlaufen der Prozesschritte „Business Understanding“ bis „Evaluation“ vor; dies erfolgt in einem agilen Vorgehen zwischen DataScientist und Fachexperten in den Fachbereichen. Der Prozessschritt „Deployment“ erfolgt nur, wenn entsprechendes Protential im Rahmen der „Evaluation“ der BrainWave festgestellt werden konnte. Im positiven Fall ist dann der Prozessschritt „Deployment“ dann nicht mehr Teil der BrainWave, sondern gehört zur Phase Demonstration und Erprobung.

BrainWave - EInordnung in CRISP-DM

Abbildung 1: BrainWave - EInordnung in CRISP-DM

Im Rahmen der Durchführung einer BrainWave ist stets ein funktionierendes Tandem aus den Rollen DataScientist und Fachexperte für das jeweilige Thema von besonderer Bedeutung. Idealerweise bringt der Fachexperte inspiriert durch das DataThinking schon eine erste Vorstellung davon mit, welches Problem sich für eine datenbasierte Optimierung besonders anbietet. Der Fachexperte ist im weiteren Verlauf dann Ansprechpartner, um sowohl das Fachproblem zu beschreiben als auch die im Fachprozess beteiligten oder benötigten Daten zu benennen und zu erklären. Der DataScientist bereitet dann die zur Verfügung stehenden Daten auf und analysiert sie in enger Abstimmung mit dem Fachexperten. Häufig werden diese Daten dann noch mit anderen Daten verschnitten, um dann schließlich ein erstes Modell, etwa für eine zu verbessernde Vorhersage von Einspeisedaten, zu trainieren. Gemäß CRISP-DM erfolgt diese Abfolge von Prozessschritten idealerweise so lange, bis die gewünschte Güte erreicht ist. Insbesondere beim Zusammenspiel der Rollen DataScientist und Fachexperte hat sich gezeigt, dass neben einem Grundverständnis des Fachexperten vom Anwendungsgebiet DataScience, anders herum ein sehr gutes Domänenverständnis beim DataScientist ausgeprägt sein muss, um in eine gemeinsame Problemlösung einzusteigen.

Unterstützt wird der Prozess einer BrainWave durch eine Reihe von Werkzeugen und Dokumentenvorlagen. So ist im EWE DataLab beispielsweise ein entsprechend angepasstes JIRA im Einsatz, welches den Lebenszyklus einer BrainWave mit den unterschiedlichen Prozessschritten abbildet. Auch im Prozess unterstützen spezifische Werkzeuge – etwa ein selbst entwickeltes Webtool zur Bewertung von Ideen unter Berücksichtigung von im DataLab der EWE standardisierten Bewertungskriterien. Natürlich sind auch die typischen Werkzeuge (Code-Repositories, DataScience Softwarebibliotheken überwiegend in Python und R und entsprechende Frameworks) zur Unterstützung der eigentlichen Entwicklung, Modellbildung und Analyse zum Einsatz gekommen, diese unterscheiden sich jedoch nicht maßgeblich von den Werkzeugen anderer Entwickler oder DatatScientist.  Darüber hinaus existieren Dokumentenvorlagen für Ideensteckbriefe, zur Analysedokumentation und Ergebnispräsentation sowie dokumentierte Best-Practices und Code-Snippets.

Eine BrainWave wird stets „time-boxed“ durchgeführt, das bedeutet, sie hat maximal eine zeitliche Dauer von 12 Wochen. Üblicherweise lässt sich schon sehr früh (nach spätestens 4 Wochen) feststellen, ob überhaupt und wenn ja, dann in wie weit das initial geschätzte Potential mittels der gegebenen Daten erreicht werden kann. Spätestens nach 12 Wochen wird gemeinsam mit dem Fachexperten Bilanz gezogen und die Ergebnisse werden evaluiert.

Im Laufe des Projektes konnten zahlreiche BrainWaves durchgeführt werden. So konnte beispielsweise eine datenbasierte Netzzustandsprognose, das Finden von geeigneten Kunden im Bereich Lichtcontracting und die Disaggregation der Haushaltsverbrauchsmessdaten zur Aufschlüsselung des Stromverbrauchs nach erfolgreichem Abschluss der entsprechenden BrainWaves demonstriert werden.