Autoren: Jan Jebens, EWE AG; Jana Wilken, EWE AG; Henrike Sommer, EPEX SPOT; Sylvie Tarnai, EPEX SPOT, Elies Lahmar, EPEX SPOT

Wesentlich beteiligte Partner: EWE AG, EWE NETZ GmbH, EPEX SPOT SE, Universität Duisburg-Essen

Voraussetzungen, Design und Anwendungserfahrungen mit einem Markt für Flexibilität

1. Hintergrund

Die Energiewende stellt das deutsche Energiesystem vor riesige Herausforderungen. Erneuerbare, volatile Stromerzeugung wird weiter ausgebaut, die Bereiche Wärme und Verkehr werden zunehmend elektrifiziert und der Netzausbau ist stark verzögert. Vor allem im Übertragungsnetz, aber auch in den Verteilnetzen, kommt es immer häufiger zu Überlastungen bzw. Netzengpässen. Ein Grund hierfür ist die Ungleichverteilung von Last und Erzeugung, wobei der überregional organisierte Großhandelsmarkt für Energie keine Netzrestriktionen abbildet. Ausschließlich der Preis ist ausschlaggebend dafür, wer den Zuschlag zur Erzeugung erhält. Der Standort der Energieerzeugung hat keine Relevanz. Zwar ist Deutschland in vier Regelzonen unterteilt, doch zwischen diesen werden keine physikalischen Kapazitätsgrenzen bzw. Netzrestriktionen abgebildet. Somit gibt es eine einheitliche Gebotszone mit einem einheitlichen Preissignal für ganz Deutschland. Vorteile einer großen Gebotszone sind das hohe Maß an Liquidität, die dadurch geringen Transaktionskosten sowie die überall einheitlich geltenden Bedingungen für den Netzzugang.

Wird Energie durch einen Markteilnehmer also zum Beispiel über eine Börse gekauft oder verkauft, ist es für diesen weder relevant noch erfährt dieser, wo in Deutschland die Energie produziert oder verbraucht wird. Für das Engpassmanagement ist aber genau das von entscheidender Bedeutung. Nur wenn der Ort der Einspeisung in das Netz oder des Netzbezugs bekannt ist, kann der Netzbetreiber bewerten, ob sich ein Energiegeschäft engpassentlastend oder -belastend auf einen Engpass auswirkt. Die Betrachtung der Einspeisung und Entnahme in und aus dem elektrischen Netz und sich daraus ergebender Leistungsflüsse  wird erstmals beim Netzbetreiber vorgenommen. Liegen die aus dem Handelsergebnis resultierenden physikalischen Lastflüsse über den Übertragungskapazitäten des Netzes, entsteht ein Engpass, der vom Netzbetreiber behoben werden muss.

Da, wie zuvor dargestellt, den Marktteilnehmern bei den bestehenden kurzfristigen Strommärkten für Energie in der Regel keine Informationen über den Ort der Einspeisung oder Entnahme vorliegen, eignen sich diese nicht zur Beseitigung von Engpässen.

Derzeit nutzen die Netzbetreiber vor allem nicht-marktliche, gesetzlich vorgegebene Maßnahmen zur Behebung von Engpässen. Neben kostenneutralen Maßnahmen, wie Schaltmaßnahmen, sind das vor allem Redispatch- und Einspeisemanagementmaßnahmen. Dabei werden von den Marktteilnehmern gebildete Fahrpläne durch Eingriffe des Netzbetreibers nachträglich angepasst, um so Einfluss auf die physikalischen Lastflüsse zu nehmen und diese in den durch das Netz und dessen Ausbauzustand vorgegebenen Grenzen zu halten. Beim Redispatch werden vor allem konventionelle Kraftwerke im Hochspannungs- und Höchstspannungsnetz in ihrer Leistung erhöht und reduziert, beim Einspeisemanagement werden dagegen Erneuerbare-Energien-Anlagen (EE-Anlagen), die in der Regel am Mittelspannungsnetz angeschlossen sind, in der Einspeiseleistung reduziert. Hierfür erhalten die Anlagenbetreiber eine finanzielle Entschädigung.

Da der Netzausbau dem rasanten Ausbau der erneuerbaren Energien seit Jahren bei Weitem nicht Schritt hält, ist nicht absehbar, dass sich die beschriebenen Herausforderungen zeitnah auflösen werden. Um dabei weder die volkswirtschaftlichen Kosten noch die Akzeptanz für erneuerbare Energien in der Gesellschaft bis an die Grenzen auszureizen, sind kurzfristige und intelligente Lösungen für eine effizienteres Engpassmanagement und eine damit verbundene bessere Integration der erneuerbaren ins Netz nötig.

Um die Netzengpässe also proaktiv zu vermeiden, die Netze damit zu entlasten und weitere erneuerbare Energien im Netz aufnehmen zu können, ist es erforderlich, zusätzliche lokale Flexibilitäten für das Engpassmanagement zu erschließen. Durch Digitalisierung und neue technische Möglichkeiten stehen dieser Nachfrage heute auch Anbieter gegenüber, die als aktive Teilnehmer im Energiesystem mit ihren Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen sowie Speichern diese lokale Flexibilität zur Verfügung stellen können. Zuvor gab es jedoch noch kein Umfeld, in dem die Netzbetreiber genau diese Möglichkeiten effizient nutzen konnten. Im SINTEG-Projekt enera wurde hierzu der börslich organisierte enera Flexibilitätsmarkt (kurz: enera Flexmarkt) entwickelt und demonstriert.

Ziel des enera Flexmarktes ist es, die Netzengpässe durch marktlich adressierte und börslich gehandelte Flexibilität mit Regionalitätsbezug zu vermeiden. Der Netzbetreiber tritt dabei als Nachfrager, Anlagenbetreiber als Anbieter von Flexibilität auf. Lokales Angebot und lokale Nachfrage nach Flexibilität werden auf einer Handelsplattform zusammengebracht, denn nur ein transparenter Marktmechanismus ermöglicht die vollständige Integration von Flexibilitäten der Erzeugungs- und der Lastseite und damit das Erschließen des vollständigen Flexibilitätspotentials.

Das Marktdesign, das die Grundlage für den enera Flexmarkt darstellt, wird nun im Weiteren vorgestellt.

2. Das Marktumfeld des enera Flexmarktes

Der enera Flexmarkt ist im Rahmen des Demonstrationsprojekts enera entstanden. Dieser wurde weder  losgelöst vom bestehenden deutschen Strommarktdesign entwickelt noch parallel hierzu aufgebaut, sondern in das existierende Marktumfeld eingebettet. Zum besseren Verständnis wird im Folgenden ein kurzer Einblick in die relevanten Aspekte des bestehenden Rahmens gegeben.

Das deutsche Strommarktdesign basiert auf einem Großhandel für Strom, der innerhalb von Deutschland ohne Berücksichtigung von Netzrestriktionen erfolgt. Dabei kommt den Netzbetreibern die Aufgabe zu, daraus resultierende Überschreitung technischer Grenzen zu verhindern und über korrigierende Maßnahmen entgegenzuwirken. Dies gilt sowohl in Bezug auf Stromtransportfähigkeit einzelner Betriebsmittel als auch für Spannungsbandverletzungen oder Frequenzabweichungen.

Zur Behebung von Netzengpässen stehen den Netzbetreibern verschiedene  Werkzeuge zur Verfügung, mit denen diese in Abhängigkeit der erforderlichen Eingriffsintensität auf Netzüberlastungen reagieren können. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese durch das Marktergebnis, durch notwendige Frei- und Umschaltungen im Netz oder durch Störungsereignisse hervorgerufen worden sind.

Sind alle kostenneutralen Maßnahmen, wie z. B. Schaltmaßnahmen, zur Beseitigung einer Netzüberlastung ausgeschöpft, wenden Netzbetreiber Maßnahmen an, bei denen die Einspeisung von Erzeugungsanlagen angepasst wird. Dazu kommen insbesondere folgende Maßnahmen zur Anwendung: Beim Redispatch werden konventionelle Erzeugungsanlagen mit einer Kraftwerksleistung ab 10 MW in ihrer Einspeiseleistung angepasst. Beim Einspeisemanagement (EISMAN) wird dagegen die Einspeiseleistung von EE-Anlagen mit einer installierten Leistung ab 100 kW (bzw. PV-Anlagen ab 30 kW) reduziert. Bei diesen Maßnahmen gilt weiterhin der Einspeisevorrang von EE-Anlagen, sodass konventionelle Erzeugungsanlagen vorrangig zu EE-Anlagen angepasst werden müssen. Den Anlagenbetreibern werden die ihnen durch Redispatch-/EISMAN-Maßnahmen entstehenden Kosten und entgehenden Einnahmen weitestgehend ersetzt.

Eine Anpassung des Strombezugs von Verbrauchern oder Speichern ist, abgesehen von hier nicht weiter relevanten Ausnahmen, bisher nicht vorgesehen, sodass keine Regelungen bestehen, die eine wirtschaftliche Teilnahme dieser am Engpassmanagement ermöglichen.

Um den Projekten unter dem Schirm des SINTEG-Programms einen etwas größeren Handlungsspielraum bei der Ausgestaltung möglicher marktlicher Mechanismen zur Flexibilitätsnutzung zu schaffen, wurde eine ergänzende auf die Projektlaufzeit und die Projektaktivitäten begrenzte Verordnung, die Sinteg-V, erlassen. Diese enthält abweichende Regelungen für Projektteilnehmer, um die mit einer Teilnahme verbundenen höheren Kosten durch höhere Netzentgelte, die aufgrund der Aktivitäten im Projekt entstehen, zu kompensieren. Darüber hinaus enthält die Sinteg-V auch eine Regelung, die es Verteilnetzbetreibern erlaubt, abweichend von §13 Absatz 6 EnWG eine Flexibilitätsplattform einzurichten, ohne dass alle Verteilnetzbetreiber daran beteiligt werden müssen. Nur durch diese Regelung wurde der Aufbau der Handelsplattform als zentrales Element des enera Flexmarktes überhaupt möglich.

3. Ziele des Marktdesigns

Ziel des Marktdesigns ist es, ein möglichst großes Flexibilitätspotential für das Engpassmanagement zu erschließen und dieses über einen einheitlichen, transparenten Mechanismus abzurufen. Dabei soll das Marktdesign einen liquiden, effizienten und vorteilbringenden Handel ermöglichen und helfen, volkswirtschaftliche Kosten, z. B. durch Einspeisemanagement oder Redispatch, zu reduzieren.

Da der Flexibilitätsmarkt parallel zum Großhandelsmarkt funktionieren und diesen nicht ersetzen soll, ist eine der Voraussetzungen für ein geeignetes Marktdesign die freiwillige Teilnahme. Ein marktlicher Mechanismus ist hier besonders geeignet, um Marktteilnehmer anzureizen, ihre Flexibilität zur Verfügung zu stellen.  Ein weiterer großer Vorteil eines marktlichen Mechanismus ist es, dass eine Berücksichtigung von lastseitigen Flexibilitäten möglich ist, was auf Grundlage eines verpflichtenden, auf Kostenkompensation basierenden Mechanismus kaum umsetzbar wäre. Dies liegt daran, dass die Definition der Kosten der Last auf dem Wert des Stroms für den Verbraucher beruht. Diese Opportunitätskosten unterscheiden sich aber sowohl zwischen den individuellen Verbrauchern als auch zeitlich und örtlich, eine regulatorische Festlegung ist von daher kaum möglich

Ein solcher marktlicher Mechanismus, der zum Engpassmanagement eingesetzt werden soll, muss im Gegensatz zum Großhandelsmarkt für Strom, dem Stromhandel eine lokale Komponente hinzuzufügen. Nur so kann  ein zielgerichteter Einsatz zum Engpassmanagement erfolgen. Darauf setzt der Kerngedanke des Marktdesigns des enera Flexmarktes mit der Einführung von lokalen Marktgebieten auf. Lokale Marktgebiete bilden dabei die niedrigste Granularität und umfassen netztopologische Regionen, in denen die angeschlossenen flexiblen Anlagen mit der gleichen oder zumindest annähernd gleichen Sensitivität auf alle potentiellen Engpässe wirken. Die lokalen Marktgebiete sind demnach so zu wählen, dass in der entsprechenden Region für keinen der Netzbetreiber Engpässe bestehen. Durch die Zuordnung zu Marktgebieten werden die Flexibilitäten in ihrer Engpasswirksamkeit vergleichbar und den Angeboten wird eine – auf dem Großhandelsmarkt fehlende – lokale Komponente hinzugefügt (siehe Abbildung 1). Mit der gleichzeitigen Standardisierung der Flexibilitätsprodukte werden Flexibilitätsangebote auch im Preis vergleichbar. Ein automatischer Vergleich und eine automatische Vertragsabwicklung werden damit möglich, was die Effizienz eines solchen kleinteiligen Marktes deutlich erhöht (Goldkamp, & Schallenberg, 2019). Die Akzeptanz für die Nutzung des Flexibilitätsmarktes hängt vor allem vom Aufwand der potenziellen Marktteilnehmer ab, diesen zu nutzen. Um hier eine große Akzeptanz zu schaffen und damit eine für den Erfolg des Marktes ausschlaggebende Liquidität auf der Plattform zu erreichen, sollten die Markteintrittsbarrieren so niedrig wie möglich gehalten werden, sodass die Kosten sowohl für die Anbindung als auch für die operative Nutzung des enera Flexmarktes in einem vertretbaren Verhältnis zum Nutzen des Markts stehen (Goldkamp, & Schallenberg, 2019). Dies konnte im Projekt enera dadurch erreicht werden, dass das Marktdesign und die zur Umsetzung nötigen Prozesse an die bestehenden Großhandelsprozessen des Intradayhandels von Strom angelehnt wurden.

Abbildung 1: Darstellung der unterschiedlichen Marktgebietsgröße am nationalen Energiemarkt und am enera Flexmarkt (Quelle: EWE AG)

Um darüber hinaus ein möglichst großes Flexibilitätspotential für das Engpassmanagement nutzen zu können, sollen durch das Markdesign möglichst alle Erzeugungsanlagen, Speicher und Verbraucher berücksichtigt werden, die eine geplante Abweichung von ihrem ursprünglichen, rein marktlichen Fahrplan bereitstellen können. Dazu zählen Erzeugungsanlagen, unabhängig von der Leistung und davon, ob es sich um konventionelle oder regenerative Erzeugungsanlagen handelt. Damit können anders als beim bisherigen regulatorischen Redispatch auch konventionelle Erzeugungseinheiten unter 10 MW für das Engpassmanagement genutzt werden, wodurch ein zusätzliches Flexibilitätspotential entsteht. Speicher, bei denen mindestens der Ladevorgang oder der Entladevorgang beeinflusst werden können, können ebenso eingebunden werden wie Verbraucher. Verbraucher können Flexibilität durch eine Änderung der Höhe der Leistungsaufnahme zur Verfügung stellen. Dabei kann es sich um Verbraucher handeln, die z.B. Industrieprozesse anpassen oder verschieben und damit den aktuellen Energiebedarf beeinflussen können, oder um Verbraucher, die ihren Energiebezug auf einen anderen Energieträger umstellen können (z.B. Gas) oder aber um Power-to-X-Anlagen. Auch bei dem eingebundenen Flexibilitätspotential von Verbrauchern handelt es sich um ein Potential, dass den Netzbetreibern zuvor nicht zur Verfügung stand.

Neben der Erschließung von zusätzlichem Flexibilitätspotential bietet ein wie hier vorgeschlagener Markt, der parallel zum Großhandelsmarkt aufgebaut ist und die Anforderungen des Engpassmanagements berücksichtigt, Vorteile gegenüber dem EISMAN-Prozess für die Abwicklung von Einspeisereduzierungen von EE-Anlagen. Im EISMAN-Prozess ist die in der Regel sehr kurzfristige Bekanntgabe der Abregelungsmaßnahmen in Verbindung mit der Verpflichtung des Vermarkters, die Maßnahmen bilanziell auszugleichen, problematisch. Können die Maßnahmen über einen wie hier vorgeschlagenen Markt vorzeitig geplant werden, sind diese sowohl für den Anlagenbetreiber als auch für den Netzbetreiber deutlich besser abzuwickeln. Durch die Integration von lastseitiger Flexibilität kann darüber hinaus die Abregelung von Erneuerbaren vermieden werden. So wird eine Integration höherer Anteile erneuerbarer Energien in das Netz ermöglicht.

Über eine möglichst effiziente Einbindung bereits bestehender Flexibilitätspotentiale hinaus ist es außerdem Ziel des hier vorgeschlagenen Marktdesigns, Anreize für zusätzliche Flexibilitätspotentiale zu schaffen. Der Markt bringt Angebot und Nachfrage zusammen und gibt damit Flexibilität einen Wert, in der Form eines aussagekräftigen Preissignals. Auf lange Sicht werden so auch die richtigen Anreize für lokale Investitionen in Flexibilität geschaffen. Das Preissignal zeigt auf, wo Flexibilität besonders benötigt wird. Dies kann zum Beispiel durch eine Flexibilisierung bestehender Anlagen oder im Rahmen eines Anlagenzubaus erfolgen.

Neben einer Ergänzung zum Netzengpassmanagement können Flexibilitätsabrufe über einen solchen Markt, wenn dieser zusätzliches Flexibilitätspotenzial einbinden kann, auch grundsätzlich eine Alternative zum Netzausbau darstellen. Ob das betriebswirtschaftliche Optimum in der Abwägung zwischen Netzausbau und Engpassmanagement liegt, hängt jedoch nicht nur von den Kosten für das Engpassmanagement ab, sondern vor allem auch von staatlichen Anreizstrukturen.

4. Strukturelle Voraussetzungen für den Betrieb

Um eine geordnete Struktur für die Umsetzung und den Betrieb des hier beschriebenen Flexibilitätsmarktes zu schaffen, wird ein Rollenmodell festgelegt, das alle am Markt beteiligten Akteure mit ihren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten beschreibt. Diese Beschreibung von Rollen und deren Interaktion untereinander definiert wesentlich die Gestalt des Marktdesigns. Das Rollenmodell des enera Flexmarktes orientiert sich an den Rollen, die sich auf dem Energiemarkt gebildet haben:

  • Anlagenbesitzer
  • Aggregator
  • Vermarkter
  • Anschließender Netzbetreiber
  • Kontrahierender Netzbetreiber
  • Markt- und Plattformbetreiber

Die Rechte und Pflichten der einzelnen Rollen und Akteure sowie deren Beziehung zueinander müssen transparent dargelegt und deren Einhaltung sichergestellt werden. Dazu wurden verschiedene Verträge zwischen den jeweiligen Rolleninhabern formuliert und vor der Teilnahme am Markt unterzeichnet.

Grundsätzlich können auch mehrere Rollen von einer Person bzw. einem Unternehmen ausgefüllt werden. Im Folgenden wird eine idealtypische Verteilung der Rollen auf unterschiedliche Akteure und deren wesentliche Interaktionen untereinander dargestellt. Abbildung 2 zeigt ergänzend hierzu eine schematische Übersicht.

Abbildung 2: Beziehungen zwischen den einzelnen Marktrollen des enera Flexmarktes (Quelle: EWE AG)

Der Anlagenbesitzer tritt in der Regel auf Grundlage einer vertraglichen Vereinbarung sein Recht auf Steuerung der Anlage und die damit verbundene Vermarktung der Flexibilität an einen Dritten ab. Dies kann der Aggregator oder direkt der Vermarkter sein.

Für die Teilnahme am enera Flexmarkt können Anlagen zusammengefasst werden. Dazu müssen die Anlagen im selben Marktgebiet ans Netz angeschlossen sein, von der gleichen Erzeugungsart (z. B. Biogas-, Windenergie- oder PV-Anlagen) sein und für eine Teilnahme am enera Flexmarkt zertifiziert sein. Die Bündelung der Flexibilität mehrerer Anlagen zum Zweck der gemeinsamen Vermarktung übernimmt der Aggregator. Die Aggregation ermöglicht zum einen, viele kleine Anlagen zusammen zu vermarkten und somit die Transaktionskosten zu senken. Zum anderen erhöht sie die Zuverlässigkeit, da bei einem Ausfall einer Anlage ggf. andere Anlagen einspringen können.

Der Aggregator stellt dem Vermarkter die aggregierten Flexibilitätspotentiale zur Verfügung. Dabei wird die Prognose der verfügbaren Potentiale in der Regel durch den Aggregator vorgenommen. Der Vermarkter ist aktiver Teilnehmer am Markt und bietet die Flexibilität hier an. Bevor die Anlagen zur Erbringung von Flexibilität am Flexmarkt eingesetzt werden können, muss der Vermarkter diese anmelden und zertifizieren lassen. Da der Vermarkter in der Regel auch auf dem Großhandelsmarkt und ggf. weiteren Märkten wie dem Regelleistungsmarkt aktiv ist, kann er die jeweils beste Vermarktungsoption für verfügbare Flexibilität wählen. Die Rollen des Aggregatoren und des Vermarkters  werden häufig vom selben Akteur wahrgenommen.

Gegenpart im Geschäft zur Vermarktung der Flexibilität ist der kontrahierende Netzbetreiber. Dieser identifiziert den Bedarf für die Flexibilität zum Beispiel durch Engpässe im eigenen Netz und tritt als ausschließlicher Käufer der Flexibilität auf dem Flexibilitätsmarkt auf. Dabei gibt es grundsätzlich keine Beschränkung, dass der kontrahierende Netzbetreiber nur Flexibilität aus Anlagen kontrahieren darf, die am eigenen Netz angeschlossen sind.

Im Gegensatz zur Rolle des kontrahierenden Netzbetreibers besteht die Beziehung des anschließenden Netzbetreibers nur zu Anlagen in seinem eigenen Netz. In dieser Rolle ist der Netzbetreiber verantwortlich dafür, die an seinem Netz angeschlossenen Anlagen für eine Teilnahme am Markt zuzulassen und erteilt hierzu entsprechend die Freigaben für die vom Vermarkter angemeldeten Anlagen.

Der Markt- und Plattformbetreiber ist der Betreiber einer neutralen Handelsplattform, auf der Flexibilitätsangebote und die Nachfrage nach Flexibilität durch die Netzbetreiber zusammengebracht werden. Durch die Umsetzung des Marktdesigns trägt dieser einen wesentlichen Teil zum Gelingen des Marktes bei. Er ist zuständig für die Festlegung von Marktregeln und Produktspezifikationen, lässt Teilnehmer zu und betreibt und überwacht die Handelsplattform.

5. Technische Voraussetzungen für den Betrieb

Für die Aktivierung von Flexibilitätspotenzial auf dem Flexibilitätsmarkt müssen bei einzelnen Marktrollen verschiedene technische Voraussetzungen erfüllt sein.

5.1. Zertifizierung der Flexibilitätsanlagen

Ein Markt, so wie er hier beschrieben wird, benötigt ein zentrales Register, in dem die zur Flexibilitätserbringung berechtigten Anlagen und deren Stammdaten hinterlegt sind. Der enera Flexmarkt sieht aus diesem Grund einen Zertifizierungsprozess vor. In diesem zweistufigen Prozess müssen die Anlagen vom Flexibilitätsanbieter zunächst für die Teilnahme angemeldet und die wesentlichen Anlagenstammdaten hinterlegt werden. In einem zweiten Schritt müssen die Anlagen vom anschließenden Netzbetreiber geprüft und dem richtigen Marktgebiet zugeordnet werden. Außerdem müssen die IT-technischen Voraussetzungen für die erforderlichen Datenlieferungen zur Nachweisführung geschaffen werden. Anschließend erfolgt die Eintragung in das zentrale Flexibilitätsregister (kurz: Flexregister). So wird sichergestellt, dass Anlagen bekannt sind, damit beispielsweise keine Flexibilität aus nicht existierenden Anlagen oder Flexibilität mehrfach angeboten werden kann.

Neben der Zuordnung zum richtigen Marktgebiet ist dieser Prozess auch für die Nachweisführung wichtig, da hierfür der Erzeugungstyp der Anlage bekannt sein muss. Die Nachweisführung sowie deren technische Umsetzung werden ausführlich im Lösungsartefakt „Nachweisplattform“ beschrieben.

5.2 Prognosen & Fahrplanmeldung

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen Flexibilitätsmarkt sind gute Prognosen verschiedenster Art, sowohl auf Anbieterseite als auch bei den Netzbetreibern. Nur wenn gute Prognosen vorliegen, können Netzbetreiber den Flexibilitätsbedarf bestimmen und Flexibilitätsanbieter das verfügbare Potential abschätzen und anbieten.

Flexibilitätsanbieter von dargebotsabhängigen Anlagen müssen die Einspeisung ihrer Anlagen möglichst gut abschätzen, da sich daraus das mögliche Flexibilitätspotential durch Einsenkung der Anlage ergibt. Dies ist im enera Projekt insbesondere auf Grund der kleinen Flächenausdehnung der Marktgebiete von teilweise nur 20 km² und damit geringen Ausgleichseffekten sehr herausfordernd.

Anbieter von fahrplanfähigen Anlagen sind darüber hinaus verpflichtet, spätestens zwölf Stunden vor einem Flexibilitätsabruf Fahrpläne für die geplante Fahrweise zu senden. Hintergrund hierfür ist vor allem, dass verhindert werden soll, dass ein Flexibilitätspotential durch eine kurzfristige Fahrplananpassung überhaupt erst geschaffen wird.

Auf Seite der Netzbetreiber ist vor allem eine gute Engpassprognose erforderlich. Da der Markt auf eine vorausschauende Engpassbeseitigung ausgelegt ist, müssen die Netzbetreiber ihre Engpässe und die Höhe Überlastung vorhersagen können.

5.3 Netzbetreiberkoordination

Bei der Kontrahierung von Flexibilitäten über den enera Flexmarkt kann der kontrahierende Netzbetreiber Angebote auch von Vermarktern annehmen, die sich auf Anlagen beziehen, die nicht an das eigene Netz angeschlossen sind. So kann zum Beispiel der Übertragungsnetzbetreiber Leistung aus dem Verteilnetz kontrahieren, um dadurch eine Engpassentlastung im Übertragungsnetz zu erzielen.

Da es sich hierbei jedoch um Eingriffe in das Netz eines anderen Netzbetreibers handelt, muss der Netzbetreiber, an dessen Netz die Anlagen angeschlossen sind, und ggf. dazwischenliegende Netzbetreiber dem Abruf zustimmen. Dazu gibt es vor Flexibilitätsabrufen eines überlagerten Netzbetreibers einen standardisierten Koordinationsprozess zwischen den Netzbetreibern zur Abstimmung der möglichen Abrufhöhe. Es erfolgt zunächst ein top-down Informationsprozess zur Ermittlung der involvierten lokalen Marktgebiete (Netzbereiche) vom Übertragungsnetzbetreiber bis zum anschließenden Verteilnetzbetreiber. Im Anschluss an diesen Informationsfluss startet ein bottom-up Prozess zur Übermittlung der freien Übertragungskapazitäten, so dass bei Aktivierung der Flexibilität keine Engpässe im nachgelagerten Netz hervorgerufen werden. Dieser Prozess wird ausführlich im Lösungsartefakt „Netzbetreiberkoordination“ beschrieben.

5.4 Nachweisverfahren für Abrechnung und Monitoring

Da es nicht ausreichend ist, lediglich die Flexibilitätserbringungen über die Handelsplattform zu vereinbaren, sondern es auch erforderlich ist, die tatsächliche Erbringung der Flexibilität zu verifizieren, ist im Marktdesign des enera Flexmarktes neben dem Markt auch ein Nachweismechanismus vorgesehen. Die Aufgabe des Mechanismus ist es zum einen die tatsächliche Anpassung der Anlagenfahrweise nachzuvollziehen und zum anderen sicherzustellen, dass die Flexibilitätserbringung nicht nur durch eine geänderte Vorgabe der ursprünglich geplanten Fahrweise erzeugt wird. Auch die Erfüllung dieser Anforderungen ist im enera-Projekt durch eine IT-Plattform (Nachweisplattform) gewährleistet.

Zum Nachweis der physischen Erbringung der Flexibilität wird auf Grundlage der Stamm- und Bewegungsdaten der involvierten Anlagen ein Soll-/Ist-Vergleich vorgenommen (Börries, Herrmann, Höckner, Ott, & Steiner, 2018). Dabei ist zwischen dargebotsabhängigen und fahrplanfähigen Anlagen zu unterschieden. Für dargebotsabhängige Anlagen wird dabei die theoretisch mögliche Einspeisung auf Basis der etablierten Pauschal- und Spitzabrechnungsverfahren ermittelt. Für fahrplanfähige Anlagen werden geplante und vorab zu meldende Fahrpläne als Referenz genutzt.

Im vorgestellten Marktdesign erfolgt die Abrechnung der Flexibilitätserbringung durch die anfordernden Netzbetreiber selbst. Dazu steht ihnen im Projekt enera eine zentrale Nachweisplattform zur Verfügung, über die die vertragsgemäße Erbringung von Flexibilität anhand der Stamm- und Bewegungsdaten nachvollzogen und verifiziert werden kann. Der Nachweismechanismus berücksichtigt dabei etwaige EISMAN- und Regelleistungsabrufe, so dass die Nachweisplattform die erforderlichen Informationen für eine Abrechnung liefert.

Neben der Auswertung der Daten für die Abrechnung, werden die Daten auch für eine Prüfung des Marktverhaltens der Anbieter verwendet, um unerwünschtes Marktverhalten aufdecken und nachweisen zu können. Das Nachweisverfahren und deren technische Umsetzung auf der Nachweisplattform werden ausführlich im Artikel zum Lösungsartefakt „Nachweisführung und Nachweisplattform“ beschrieben.

6. Ausgestaltung des börslichen Flexibilitätsmarktes

6.1 Handelbare und standardisierte Produkte für Flexibilität

Bei den auf dem enera Flexmarkt gehandelten Produkten handelt es sich um standardisierte Flexibilitätsprodukte. Für einen Flexibilitätsmarkt ist die Definition von Flexibilität und die Übersetzung dieses Konzepts in ein Produkt ein zentrales Element. Im enera Flexmarkt wird Flexibilität wird dabei als eine Abweichung von einem ohne den Handel zu erwartenden oder geplanten Verhalten (Baseline) verstanden. Bei der durch den Handel auf dem enera Flexmarkt eingegangenen Lieferverpflichtung handelt es sich also um eine Verpflichtung des Anbieters zur Änderung des Arbeitspunktes im Vergleich zur Baseline. Da auf dem enera Flexmarkt allein die Flexibilität und keine Energie gehandelt wird, muss die sich aus der Arbeitspunktanpassung ergebende Bilanzkreisabweichung vom Anbieter eigenständig ausgeglichen werden. Dies kann zum Beispiel auf dem Großhandelsmarkt durch eine Energietransaktion am Intraday Markt erfolgen.

Ein großer Vorteil von börsenbetriebenen Märkten gegenüber dem sogenannten Over-the-Counter-Handel (OTC-Handel) ist die Transparenz des Preises. Für die Entwicklung von Flexibilität ist das Wissen um ihren Wert unerlässlich. Hier kann der Markt durch die Bildung eines Preissignals einen wesentlichen Beitrag leisten. Ein weiterer Vorteil des börslichen Handels sind niedrige Transaktionskosten, die zu höherer Liquidität führen. Insbesondere bei einer großen Teilnehmeranzahl mit kleinteiligen Flexibilitätsangeboten sind Transaktionskosten, wie sie außerhalb eines Marktmechanismus durch den Abschluss einer Vielzahl bilateraler Verträge entstehen würden, erheblich. Ein Markt als Koordinierungsmechanismus kann diese senken. Dabei erfordert der Handel auf einer Börsenplattform eine vollständige Standardisierung der Produkte. Die Übernahme von Produktstandards zwischen unterschiedlichen Märkten – wie zum Beispiel zwischen den lokalen Produkten des enera Flexmarktes und überregionalen Produkten – führt dabei zu einer guten Vergleichbarkeit.

Flexibilität wird auf dem enera Flexmarkt analog zum Intraday Markt mit einer Lieferperiode von 15 Minuten oder einer Stunde gehandelt. Eine Unterscheidung zwischen erneuerbaren und nicht erneuerbaren Flexibilitätsprodukten stellt sicher, dass der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien eingehalten werden kann. Die Eigenschaften der standardisierten Flexibilitätsprodukte, wie sie im enera-Projekt entwickelt wurden, sind in Tabelle 1 aufgeführt.

Die Merkmale aller Gebote sind die folgenden:

  • Preis [EUR/MWh]
  • ein Volumen [MW]
  • Lieferzeitraum
  • ein Marktgebiet

Attribut

Beschreibung

Marktgebiet Lokale Marktgebiete, die von den Netzbetreibern auf der Grundlage verfügbarer Flexibilitätsressourcen und erwarteter Engpässe definiert werden
Handelsprozess Kontinuierlicher Handel
Handelsperiode 24/7
Handelbare Produkte

Produktname

Lieferperiode

Kommentar

RES_Hour_Power

60 Minuten

Erneuerbare Flexibilität

RES_Quarter_

Hour_Power

15 Minuten

Erneuerbare Flexibilität

Non_RES_Hour_Power

60 Minuten

Nicht-erneuerbare Flexibilität

Non_RES_Quarter_

Hour_Power

15 Minuten

Nicht-erneuerbare Flexibilität

Marktöffnung Handel startet am Vortag der Lieferung um 15 Uhr
Marktschluss Bis fünf Minuten vor Lieferung
Mindestpreisschritt 0.1 €/MWh
Mindestpreis RES products: -9999.9 €/MWh Non_RES products: -50 €/MWh
Höchstpreis RES products: +9999.9 €/MWh Non_RES products: +9999.9 €/MWh
Mindestvolumenschritt 0.1 MW
Handelsphase

Während des Handels wird der Markt in der Balancing Trading Phase sein. In diese Phase können regular orders nur mit balancing orders gematcht werden.

Verfügbare Gebotstypen

limit orders , iceberg orders

Verfügbare Gebotskategorien

balancing orders, regular orders

Verfügbare Ausführbedingungen

None, IOC (Immediate-or-cancel), FOK (Fill-or-kill)

Verfügbare Gültigkeitsbeschränkungen

Good for session, Good till date

Ob die gelieferte Flexibilität der gehandelten Flexibilität entspricht, wird auf der in Abschnitt 5.4 vorgestellten Nachweisplattform überprüft.

6.2 Die Eigenschaften des lokalen Flexibilitätsmarktes im enera Projekt

Flexibilitätsmärkte können sich in ihrer Ausgestaltung wesentlich voneinander unterscheiden, insbesondere aufgrund von lokalen Bedingungen für die sie entworfen werden. Der enera Flexmarkt wurde zwar in dem Projekt als Antwort auf die spezifischen Herausforderungen einer windreichen Region entwickelt, um eine bessere Integration erneuerbarer Energien zu ermöglichen. Die dabei gefundene technische Lösung flexibel ist jedoch unabhängig von den lokalen Gegebenheiten anwendbar und bildet damit eine überregional skalierbare Vorlage für einen Flexmarkt. Die grundsätzliche Logik des enera Flexmarktes ist die netzdienliche Bereitstellung dezentraler Flexibilität mit Hilfe von Prozessen des Großhandelsmarktes. Hierfür muss die lokale Eigenschaft des Marktes entsprechend widergespiegelt werden. Dies wurde durch lokale Orderbücher erreicht. Jedes Orderbuch vereint Angebot und Nachfrage an Flexibilität für ein Markgebiet, weiter differenziert nach Lieferperiode, dem Lieferzeitpunkt und erneuerbaren und nicht-erneuerbaren Produkten. Der enera Flexmarkt teilt sich in 23 Marktgebiete, die Flexibilität für ein bestimmtes Netzgebiet bündeln. Marktgebiete bilden die niedrigste Granularität in der enera Region. Wie bereits erläutert, umfassen diese netztopologische Regionen, in denen die angeschlossenen Anlagen mit der gleichen Sensitivität auf den Engpass wirken. In einem Marktgebiet können somit keine Engpässe entstehen. Je nach Netztopologie kann die Anzahl der Anlagen, die in einem Marktgebiet zusammengefasst werden, stark variieren. Die Marktgebiete werden durch die Netzbetreiber vorher definiert, können sich mit der Zeit ändern. So können sich Marktgebiete ändern, neue Marktgebiete geschaffen oder andere aufgelöst werden. Neben den Marktgebieten werden Engpassregionen definiert. Diese ist entscheiden für die richtige Zuordnung der lokalen Marktgebiete. In einer Engpassregion werden je Netzbetreiber alle Marktgebiete zusammengefasst, in denen Anlagen vorhanden sind, die eine Wirkung auf einen Engpass im eigenen Netz haben können. Wie bereits in Abschnitt 4 erwähnt, sind die Netzbetreiber – sowohl Übertragungs- als auch Verteilnetzbetreiber – ausschließliche Käufer auf dem enera Flexmarkt. Geschäfte zwischen Anbietern von Flexibilität sind nicht möglich. Es handelt sich also um einen Single-Buyer Markt, auf dem die Netzbetreiber die von ihnen benötigte Flexibilität zum sicheren Netzbetrieb beschaffen können. Auf dem enera Flexmarkt können unterschiedliche Arten von Geboten gehandelt werden, die es sowohl Anbietern als auch Nachfragern nach Flexibilität ermöglichen, ihre Flexibilität gemäß technischer Voraussetzung zu vermarkten bzw. ihren Bedarf präzise zu decken. Einige Flexibilitätsanbieter haben beispielsweise technische Restriktionen in Bezug auf ihre Bereitstellung von Flexibilität. Es ist ihnen beispielsweise nur möglich, die gesamte Kapazität oder keine Kapazität zu aktivieren, im Gegensatz zu anderen Anlagen, die auch eine schrittweise Aktivierung ermöglichen. Dies kann auf dem enera Flexmarkt berücksichtigt werden.

6.3 Der Handelsprozess am enera Flexmarkt

Prozesse, Produkte und IT-Systeme des enera Flexmarktes orientieren sich am etablierten, überregional organisierten Intraday Markt. Der Handel öffnet um 15 Uhr des Vortages (D-1) und endet  5 Minuten vor Lieferstart. Dies ermöglicht den Handel von Flexibilität bis kurz vor der Lieferung, was vor allem aufgrund sich ändernder Prognosen wichtig ist. Analog zum Intraday Markt ist ein kontinuierlicher Handel auf dem enera Flexmarkt möglich. In der Praxis werden die Netzbetreiber jedoch nur bei einem erwarteten Engpass auf dem Markt aktiv.

Für den Handel wird ein bereits aus dem Intraday Handel an der EPEX SPOT bekanntes Handelssystem genutzt. Dieses kann über eine graphische Oberfläche oder über Programmierschnittstellen (APIs) bedient werden. Es führt alle Flexibilitätsangebote und -nachfragen mit identischen Produktmerkmalen anonymisiert in einem Orderbuch zusammen. So existiert eine Vielzahl an Orderbüchern entsprechend der möglichen Kombination von Produktmerkmalsausprägungen. Durch den sogenannten kontinuierlichen Matching-Prozess werden zwei Gebote ausgeführt, sobald ein Flexibilitätsangebot mit einer Flexibilitätsnachfrage kompatibel ist – eine Transaktion kommt zustande. Da der Handel kontinuierlich ausgeführt wird, können Marktteilnehmer zu jeder Zeit Gebote senden, annehmen oder annullieren. Bei der Ausführung eines Geschäfts werden die beteiligten Marktteilnehmer über das Zustandekommen informiert. Der detaillierte Ablauf des Handelsprozesses und das Design des Marktplatzes wird im separaten Artikel „Der enera Marktplatz für Flexibilitätshandel“ beschrieben.

7. Anwendung des Marktdesign

7.1 Das Marktdesign in der Praxis: Kennzahlen und Ergebnisse

Die Umsetzung eines Marktdesigns in allen technischen Details ist eine Herausforderung. Mit dem enera Flexmarkt ist es gelungen, den ersten börsenbetriebenen Flexibilitätsmarkt in Europa umzusetzen.  Das Projekt hat gezeigt, dass ein Flexibilitätsmarkt nicht nur technisch möglich ist, sondern durch die Behebung physischer Engpässe einen echten Mehrwert aufweist. Die Abregelung von erneuerbaren Energien konnte vermieden werden und neue Flexibilitätspotentiale wurden erschlossen.

Das hier vorgestellte Marktdesign wurde im Rahmen des enera-Projekts umgesetzt und in einer 17-monatigen Demonstrationsphase getestet. Dabei waren neben den drei projektbeteiligten Netzbetreibern TenneT, Avacon Netz und EWE NETZ die EPEX SPOT als Markt- und Plattformbetreiber beteiligt. Auf Anbieterseite konnten neben der EWE TRADING als Projektpartner fünf weitere Vermarkter für eine Teilnahme am enera Flexmarkt gewonnen werden.

In Hinblick auf die Erfahrung mit dem Marktdesign kann festgestellt werden, dass damit im Verhältnis zur Modellregion eine große Anzahl von Anlagen mit einem in Summe sehr großen Flexibilitätspotential eingebunden werden konnte. Dies ist vor allem auf die bewusst niedrig gehaltenen Markteintrittsbarrieren zurückzuführen. Insgesamt wurden ca. 250 Anlagen mit einer installierten Leistung von insgesamt 360 MW an den Flexmarkt angebunden und standen dort für eine Flexibilitätsbereitstellung zur Verfügung. Dabei konnten nicht nur Erzeugungsanlagen in Form von EE-Anlagen, sondern auch Speicher und Verbraucher (Power-to-X-Anlagen) für eine Teilnahme gewonnen werden.

Der erste Handel fand im Februar 2019 zwischen einer Power-to-Gas-Anlage von Audi und EWE NETZ statt. Die Anlage stellte durch die Erhöhung ihres Verbrauchs Flexibilität bereit und verkaufte diese auf dem enera Flexmarkt. Der zusätzlich aus dem Netz entnommene Strom wurde in Gas umgewandelt, was eine lehrbuchmäßige Illustration der Sektorenkopplung darstellt. Die dazugehörige Energiemenge musste durch Audi entsprechend dem Marktdesign am Großhandelsmarkt ausgeglichen werden.

Über ein Jahr und viele Abrufe später fand am 3. April 2020 der an der Leistung gemessen größte Abruf auf dem enera Flexmarkt statt. Dabei wurden neben Flexibilität aus Biogas- und Windenergieanlagen ein elektrischer Gastransportverdichter sowie ein Hybrid-Großspeicher im friesländischen Varel aktiviert, um Strom aus dem Netz aufzunehmen.  Insgesamt wurden bei dem Abruf 24 MW und damit die komplette vom Vermarkter EWE TRADING zur Verfügung gestellte Leistung abgerufen.

Während der gesamten Betriebsphase des Marktes wurden über 4.000 Gebote in das Orderbuch eingegeben und über 130 Transaktionen erfolgreich abgeschlossen. Im Projekt enera konnte somit gezeigt werden, dass das Marktdesign geeignet ist, eine große Anzahl von kleineren Flexibilitäten zu bündeln und zu erschließen und damit Netzengpässe effektiv zu verhindern oder zu heilen. Dass die Abrufe von Flexibilitätsleistung über den enera Flexmarkt dabei stets koordiniert zwischen den Netzbetreibern aller Spannungsebenen erfolgten, unterstreicht die Praxistauglichkeit des Marktdesigns.

Die Einbindung von lokalen Lasten, die bisher nicht für das Engpassmanagement eingesetzt wurden, konnte ebenfalls erfolgreich demonstriert werden. Damit wird über dieses Marktdesign ein neues und zuvor nicht berücksichtigtes Flexibilitätspotential erschlossen.

Der 17-monatige Betrieb des enera Flexmarktes hat es allen Projektteilnehmern ermöglicht, wertvolle Erfahrungen im Umgang mit marktbasierter Flexibilität zu sammeln. Innerhalb des Projektes wurden neue Systeme, Kompetenzen und Prozesse entwickelt. Kernelemente sind hier das Marktdesign für Flexibilität mit einer digitalen Marktplattform, der Prozess der Netzbetreiberkoordination, die Nachweisplattform, das Flexregister und neue Wege zur Prognose, Aggregation und Steuerung von Flexibilität. Für Netzbetreiber hat der enera Flexmarkt den Weg hin zu neuen Flexibilitätsoptionen und Kompetenzen geebnet. Sie konnten konkret und angewendet die Aktivierung und Lieferung von lokaler, kleinteiliger Flexibilität für das Netzengpassmanagement testen. Dies führt zu einer proaktiven und koordinierten Nutzung von Flexibilität. Die Flexibilitätsanbieter ihrerseits konnten ein neues Marktdesign für Engpassmanagement testen. Dies hat es ihnen ermöglicht, neue Kompetenzen im Bereich Steuerung und Optimierung von flexiblen Anlagen zu erlernen. Noch vor der Anpassung der Regelungen zum Redispatchim Zuge der Novelle des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG 2.0) wurden Flexibilitäten unter 10 MW in das Engpassmanagement integriert.

Die Marktaktivität ist in Abbildung 3 dargestellt.

Abbildung 3: Marktaktivität auf dem enera Flexmarkt (Quelle: EPEX SPOT)

Die Marktaktivität zeigt deutlich, dass es sich beim enera Flexmarkt um einen Flexibilitätsmarkt handelt, auf dem realer Handel stattgefunden hat und letztendlich physische Engpässe behoben werden konnten. Für den ersten börsenbasierten Flexibilitätsmarkt im Rahmen eines Pilotprojektes ist diese technische Umsetzung ein voller Erfolg. Handelsaktivitäten variieren jedoch sehr von einem Tag zum anderen und von einem Monat zum anderen. Dies war zu erwarten, da die Aktivität auf externe Faktoren zurückzuführen ist, insbesondere auf Wetterbedingungen, die die Windeinspeisung bestimmen und somit einen Einfluss auf das Ausmaß an zu erwartenden Engpässen und letztendlich den Bedarf an Flexibilität haben. Innerhalb des Projektes spielten jedoch auch verfügbare Ressourcen seitens der Projektteilnehmer eine Rolle. Wie für Lösungen, die innerhalb eines Projektes erarbeitet wurden, üblich, mussten die enera Prozesse parallel zu den bisherigen Engpassmanagementprozessen durchgeführt werden, was zusätzlichen Aufwand bedeutete.

Dass die Zahl der Gebote deutlich höher war als die Zahl der ausgeführten Trades zeigt, dass Angebote für die Flexibilitätsbereitstellung und -nachfrage häufig nicht zusammengepasst haben. Ursache hierfür war in der Regel eine Preisspanne zwischen Anbietern und Netzbetreibern, die vor allem durch regulatorische Rahmenbedingungen erklärt werden kann.

Dass die Marktaktivitäten trotz der sehr erfolgreichen Umsetzung des enera Flexmarktsdesigns in einen funktionierenden Markt nicht höher ausgefallen sind, zeigt, dass nicht nur das Marktdesign, sondern auch der regulatorische Rahmen für den Erfolg eines Projektes entscheidend ist. Die Änderungen der Regelungen zum Redispatch im Zuge der Novelle des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG 2.0) wurden während des enera Projektes beschlossen und bestätigten einen kostenbasierten Redispatch. Solche regulatorischen Änderungen beeinflussen das Verhalten aller Marktteilnehmer, die sich bestmöglich auf den zukünftigen Rechtsrahmen vorbereiten wollen. In diesem Sinne schränkten die regulatorischen Änderungen die Aktivitäten und Entwicklungen ein, die in enera unter günstigeren Bedingungen hätten erreicht werden können.

Dennoch ist das enera Projekt ist aufgrund der erfolgreichen praxisnahen Umsetzung eines Flexibilitätsmarktes europaweit eines der Aushängeschilder für Flexibilitätsprojekte und erhält sowohl von Marktteilnehmern als auch von Ministerien und Regulierungsbehörden große Aufmerksamkeit.

7.2 Ein Blick nach vorne: Nutzung des enera Flexmarktes in einem geänderten deutschen Redispatch-System

Die Reform des deutschen Redispatch-Regimes zum 01. Oktober 2021 sieht erstmals vor, dass die Netzbetreiber alle Erzeugungsanlagen ab 100 kW sowie alle jederzeit fernsteuerbaren Anlagen für das Engpassmanagement einsetzen können und diese kostenbasiert vergütet werden (Redispatch 2.0). Der enera Flexmarkt wurde dagegen vor dem Hintergrund eines Regulierungsrahmens aufgebaut, in dem nur Anlagen über 10 MW für den existierenden Redispatch-Einsatz zur Verfügung stehen. Durch die Gesetzesänderung besteht für den enera Flexmarkt weiterhin ein Anwendungsbereich, auch wenn sich dieser insbesondere auf Lasten reduziert. Gleichzeitig stellen die Regelungen sowohl Netzbetreiber als auch Vermarkter vor neue technische, prozessuale und organisatorische Herausforderungen. Das enera Projekt hat hier eine wichtige Grundlage gelegt, aus der wertvolle Elemente in das zukünftige Regime übertragen werden können.

Beim Engpassmanagement im Rahmen des Redispatch 2.0 ist eine enge Koordination und Zusammenarbeit der Netzbetreiber über die Spannungsebenen hinweg notwendig, um die Netz- und Versorgungssicherheit mit größtmöglicher Kosteneffizienz zu gewährleisten. In der im Projekt enera entwickelten und erfolgreich demonstrierten Netzbetreiberkoordination konnten die drei beteiligten Netzbetreiber genau diese Herausforderung bereits erproben und die entsprechenden technischen sowie prozessualen Voraussetzungen für eine Nutzung dieses Prozesses über enera hinaus schaffen.

Darüber hinaus werden die Netzbetreiber in Zukunft im Rahmen des Redispatch für die Abwicklung der Abrechnungsprozesse gegenüber den Vermarktern verantwortlich sein. Diese Zuständigkeit wurde auch im Marktdesign des enera Flexmarktes definiert, so dass die Netzbetreiber auch hier bereits Erfahrungen sammeln und sich auf diese neue Aufgabe vorbereiten konnten.

Um ein effizientes Engpassmanagement mit dem Einsatz von vielen, auch kleineren Erzeugungsanlagen durchführen zu können, bedarf es einer umfassenden und genauen Datengrundlage. Dieses betrifft vor allem die Erhebung und Zurverfügungstellung von Plandaten und Prognosen. Der enera Flexmarkt wurde zum Zwecke des Engpassmanagements entwickelt. Somit basiert auch dieser einerseits auf einer hohen Prognosegüte – vor allem auch auf lokaler und kleinteiliger Ebene. Es wurden sowohl seitens der Vermarkter lokale Last- als auch Erzeugungsprognosen entwickelt, die in eine Netzengpassprognose eingebettet wurden und dem Netzbetreiber bereits einige Tage im Voraus einen zu erwartenden Engpass mitteilte. Andererseits wurden u. a. die virtuellen Kraftwerke der Vermarkter derart ertüchtigt, diese Daten auch zur Nachweisführung der Handelsgeschäfte bereitstellen zu können. Es lassen sich also auch hieraus wichtige Erkenntnisse und Entwicklungen für das zukünftige Redispatch 2.0 nutzen.

Besonders hervorzuheben ist jedoch, dass auch durch die bevorstehenden gesetzlichen Änderungen ausschließlich die kostenbasierte Nutzung von Erzeugungsanlagen als Flexibilität zum Engpassmanagement vorgesehen ist. Die Nutzung von Lastflexibilität ist hier nicht berücksichtigt. Dies kann durch ein rein kostenbasiertes Regime auch kaum erschlossen werden, da die Definition von Kosten für Last sehr schwierig ist. In einem zukünftigen dezentralisierten Energiesystem werden beide Arten von Flexibilität für das Engpassmanagement von entscheidender Bedeutung sein. Vor allem Lastflexibilität bietet hier ein bisher ungenutztes Potential.

Zur Erschließung dieses ungenutzten Potentials bietet der enera Flexmarkt auch im zukünftig geänderten rechtlichen Rahmen eine Lösung an. Im Projekt wurde erfolgreich demonstriert, wie neben Erzeugungsanlagen auch Speicher und Lasten ihre Flexibilität über den Markt bereitstellen und damit zum Engpassmanagement beitragen konnten. So könnte auch nach enera und nach der Redispatch-Reform das lastseitige Engpassmanagement den Netzbetreibern ergänzend zum Redispatch 2.0 zur Verfügung stehen. Das in enera entwickelte Marktdesign sowie die technische Umsetzung auf der Handelsplattform bieten hierfür bereits erfolgreich erprobte Lösungsansätze.

Wenn also der marktbasierte Redispatch auf kleine und lastseitige Flexibilitäten angewendet wird und erzeugungsbasierte Anlagen kostenbasiert im Redispatch genutzt werden, entsteht ein Hybridmodell, in dem beide Modelle koexistieren. Durch die Möglichkeit, jede Art von Flexibilität netzdienlich einsetzen zu können, wird nicht nur die Entwicklung neuer Flexibilität angereizt, sondern auch das Potential bestehender Flexibilität voll genutzt. Darüber hinaus erlaubt die Integration lastseitiger Flexibilität eine Reifung dieser Technologien, was langfristig zu geringeren Kosten für diese Technologie führt.

Dennoch hat die Umsetzung des Projektes auch gezeigt, dass nicht nur das Marktdesign, sondern auch der regulatorische Rahmen für den Erfolg eines solchen Marktes entscheidend sind. Die Umsetzung der Marktplattform hat es den Marktteilnehmern ermöglicht, miteinander in den Austausch zu treten und Flexibilität effizient anzubieten und nachzufragen. Für eine Umsetzung eines solchen Marktdesigns auch außerhalb des Projektrahmens müssten sowohl Netzbetreiber als auch Flexibilitätsanbieter die richtigen Anreize haben, Flexibilität marktbasiert bereitzustellen und zu beschaffen. Diese Anreize müssen über eine entsprechend angepasste Regulatorik geschaffen werden, wobei festzustellen ist, dass die Regelungen der Sinteg-V, die nur für den Projektrahmen gelten, nicht ausreichend sind.

8. Literaturverzeichnis

Goldkamp, P., & Schallenberg, J. (2019). Probleme lösen bevor sie enstehen: Lokale Flexibilitätsmärkte. In O. D. Doleski (Hrsg.), Realisierung Utility 4.0 Band 1: Praxis der digitalen Energiewirtschaft von den Grundlagen bis zur Verteilung im Smart Grid (Kapitel 38). Wiesbaden, Deutschland: Springer-Verlag.

Börries, S., Herrmann, A., Höckner, J., Ott, R., & Steiner, S. (2018). enera: Flexibilitätsmärkte für die netzdienliche Nutzung. Lösungsansätze und Chancen aus Sicht der Netzbetreiber. Netzpraxis, Jg. 57, Heft 11-12, 51-53.