Autoren: Laura Abraham, Oliver Bohling, Alexander Heilmann, Michael Lange, Jörg Linnemann (alle EWE VERTRIEB GmbH)

Welche Chancen bieten sich zukünftig für Betreiber von Biogasanlagen am Energiemarkt?

Einspeisemanagement – viele Betreiber von Biogasanlagen im Norden Deutschlands dürften dieses Problem kennen: Der Gasspeicher der Anlage ist gut gefüllt, das Blockheizkraftwerk (BHKW) zur Strom- und Wärmeerzeugung läuft auf Volllast und plötzlich kommt ein Rundsteuersignal des zuständigen Netzbetreibers und regelt die Anlage aus der Ferne ab. Im schlimmsten Fall muss dadurch Biogas außerhalb des BHKW verbrannt werden, um z. B. den vollen Gasspeicher zu entlasten. Eventuell können Wärmelieferungen nicht erfüllt werden, was zu einem Komfortverlust für die zu versorgenden Gebäude oder das Freibad in der Nachbarschaft führen kann. Doch was ist die Ursache für die zwangsläufige Abregelung der Anlagen und welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?

Die Ursache für Einspeisemanagement hängt mit einem prognostizierten regionalen Ungleichgewicht zwischen Stromerzeugung und -verbrauch zusammen. Dies tritt im Norden Deutschlands häufig an sehr windreichen und sonnigen Tagen auf. Der viele Strom aus den Windkraft- und Photovoltaikanlagen wird lokal nicht vollumfänglich benötigt und die Netzkapazität reicht nicht aus, um den Strom in verbrauchsstärkere Regionen zu transportieren. Dann müssen seitens der Netzbetreiber Maßnahmen zur Stabilisierung der Netze und zum Netzschutz getroffen werden. Im Endeffekt bedeutet dies, dass regional Erzeugungsanlagen, darunter häufig auch viele Biogasanlagen, in ihrer Einspeiseleistung reduziert oder sogar ganz abgeregelt werden. Diese Maßnahmen werden als Einspeisemanagement bezeichnet (Bundesnetzagentur, 2020).

Erzeugung und Verbrauch intelligent vernetzen

Eine mögliche Lösung ist die intelligente Vernetzung von Erzeugungsleistung und Stromverbrauch über einen regionalen Marktplatz. Dieser neue Weg wurde im Kontext des enera-Projektes erprobt, um die Einspeisemanagementeinsätze zu reduzieren und die damit verbundenen Probleme zu mindern. Eine auf die Flexibilitätsmenge bezogen besonders vielversprechende Anlagenart waren Biogasanlagen mit angeschlossenem BHKW. Die pauschale Abregelung aller Anlagen in der betroffenen Netzregion sollte durch ein marktwirtschaftliches Instrument verhindert werden. So sollten nur Anlagenbetreiber für die Beseitigung der Netzengpässe Flexibilität in der Erzeugungsleistung anbieten, die auch eine Flexibilität besaßen. Anlagenbetreiber ohne Flexibilität sollten im besten Fall normal weiter produzieren können.

Ein zentraler Baustein dieser Lösung ist das Virtuelle Kraftwerk der EWE VERTRIEB GmbH, welches die mess- und steuertechnische Anbindung aller am Feldtest beteiligter Anlagen durchführte. Es eröffnete für die Betreiber neue Vermarktungsmöglichkeiten.

Premiere für Biogas-BHKW: Automatisierte Fahrplanoptimierung mit einer erlösoptimalen, täglichen Einsatzplanung

Durch das enera-Projekt wurde erstmals eine automatisierte Fahrplanoptimierung erprobt, in der auf Basis von individuellen Anlagenrestriktionen eine erlösoptimale, tägliche Einsatzplanung durchgeführt wird. Hierzu wird ein mathematisches Modell der Biogasanlage erstellt, in das verschiedene Einflussgrößen wie Zielerzeugung, Anzahl der Motorstarts, Mindestbetriebsstunden sowie technische Parameter wie Motorwirkungsgrad als statische Restriktionen eingehen. Zudem wurde die bereits an den Anlagen verbaute Fernwirktechnik in einigen Fällen mit zusätzlichen Datenpunkten für Gas- und Pufferspeicherfüllstände erweitert, die als dynamische Restriktionen in die Optimierung eingehen. Diese Informationen helfen dabei, einen realistischen Fahrplan zu erstellen, den das Biogas-BHKW hinsichtlich der Gaserzeugung und des Wärmebedarfs auch erfüllen kann, anstatt die Einsatzplanung lediglich anhand der Preisprognosen auszurichten. Über Wärmelastprofile kann so u.a. der Wärmebedarf berücksichtigt werden, damit die in der Verstromung entstehende Prozesswärme genutzt werden kann und der Betreiber den KWK-Bonus geltend machen kann. Um zukünftige Märkte im Virtuellen Kraftwerk abbilden und gegenüber den Kunden abrechnen zu können, wurde mit der Implementierung des enera-Marktes bereits der Grundstein gelegt. Dies erlaubt eine hohe Anpassungsgeschwindigkeit auf neue Marktgegebenheiten wie beispielsweise die vom Engpassmarkt bekannten regionalen Orderbücher.

Die Prognose flexibler Biogasanlagen als Schlüssel zur Engpassbehebung und Bilanzkreistreue

Die für die Vermarktung zur Verfügung stehende Energie konnte im Projekt anhand von wichtigen Parametern annähernd optimal und automatisiert prognostiziert werden. Dies wurde ermöglicht durch die im Projekt erweiterten Funktionalitäten des Virtuellen Kraftwerks. Für die teilnehmenden Anlagen bringt dies den Vorteil, dass technische Restriktionen der Anlagen individuell berücksichtigt werden und führt dazu, dass die so erstellten Fahrpläne in der Realität bei einem Abruf im Rahmen des Flexibilitätsmarktes genauer abgefahren werden können. Die Prognosegüte der erstellten Fahrpläne kann so erheblich verbessert werden, welches für eine optimale Vermarktung und die Bilanzkreistreue essentiell ist. Dank einer kooperativen Zusammenarbeit mit anderen Projektteilnehmern in ihren Rollen als Netzbetreiber konnte der gesamte Prozess von einer Flexibilitätsnachfrage über den Handel bis zur physischen Erbringung mehrfach erfolgreich durchlaufen werden. Es konnte demonstriert werden, dass Biogas-BHKWs ein technisch adäquates Mittel sind, um Engpasssituationen im Netz zu minimieren. Der technische Erfolg lässt sich jedoch nur bedingt auf die Kostenstruktur im Markt übertragen. Das vorrangige Ziel eines Flexibilitätsmarktes ist die Vermeidung von Netzeingriffen mit Hilfe eines Marktmechanismus und bietet so eine Alternative für den langwierigen und kostenintensiven Netzausbau. Besonders in Regionen wie der enera-Modellregion kommt es häufig zu solchen Engpässen im Verteil- oder Übertragungsnetz. Der Ausbau von erneuerbaren Energien ist schnell vorangeschritten und der Netzausbau findet verzögert statt. Folglich kann der eingespeiste Strom nicht in Richtung des laststärkeren Südens abtransportiert werden.

Die Ausfallarbeit, also der durch Einspeisemanagementmaßnahmen entstehende Energieverlust, wird über die Netznutzungsentgelte durch den Anschlussnetzbetreiber kompensiert. Hieraus entsteht die aktuelle Kostenstruktur im enera-Flexibilitätsmarkt: der Anlagenbetreiber erwartet, für die Nichteinspeisung von Energie kompensiert zu werden. Im Falle von Einspeisemanagement erhält der Anlagenbetreiber den Betrag, den er bei Einspeisung durch die Einspeisevergütung erhalten hätte. Es entsteht für ihn im Rahmen eines Marktes nur dann ein finanzieller Vorteil, wenn der Netzbetreiber bereit ist, mehr als die entgangene Einspeisevergütung für seine nachgefragte Flexibilität zu entrichten. An welcher Stelle die Differenz zwischen den Kosten der Ausfallarbeit, die über die Netzentgelte abgewickelt werden können, und dem Flexibilitätspreis, den der Anlagenbetreiber erwartet, finanziert wird, ist eine noch nicht geklärte Herausforderung. Die Ertüchtigung der Anlagen für die Bereitstellung von Flexibilität kann für den Anlagenbetreiber mit initialen Kosten einhergehen. Verspricht der Flexibilitätsmarkt jedoch keinen gesicherten Mehrerlös, kann keine Investitionssicherheit für den Anlagenbetreiber entstehen und es fehlt ihm dadurch der Anreiz für die Marktteilnahme.

Welche Energiemärkte stehen Biogasanlagen heute und morgen offen?

Die Biogas-BHKW, die an das Virtuelle Kraftwerk der EWE VERTRIEB GmbH angebunden sind, werden heute an allen Energiemärkten gehandelt. Das Virtuelle Kraftwerk ermöglicht den Kunden eine erlösoptimale Einsatzplanung für die unterschiedlichen Märkte. Die Basis bildet dabei grundsätzlich die Vermarktung der erzeugten Energie am DayAhead-Markt. Der Direktvermarkter handelt hierbei die vom Betreiber geplante Einspeisung für den nächsten Kalendertag. Die Einspeisevergütung wird entweder auf Basis des Monatsmittelwertes (nicht-flexible Anlagen) bzw. der jeweiligen Stundenpreise abgerechnet (flexible Anlagen). Flexibilisierte Anlagen können im Betrieb über die Einspeisung zu hochpreisigen Stunden erhebliche Mehrerlöse gegenüber der kontinuierlichen Erzeugung zum DayAhead Monatsmittel erzielen. Am IntraDay-Markt werden untertägige Fahrplananpassungen, z. B. bei kurzfristigen Anlagenausfällen, gehandelt sowie Erlöse aus dem Spread-Handel (symmetrische Kauf-/Verkaufsgeschäfte) erwirtschaftet. Zusätzliche Erlöse bei gleichzeitig positiven Auswirkungen auf die Systemstabilität ermöglicht zudem die Teilnahme am Regelleistungsmarkt der Übertragungsnetzbetreiber. Biogas-BHKW sind durch ihre Fähigkeit zum schnellen Lastwechsel insbesondere für die Erbringung von aFRR (Sekundärregelleistung) und mFRR (Minutenreserveleistung) geeignet. FCR (Primärregelleistung) ist zwar technisch möglich, wird jedoch von EWE VERTRIEB aufgrund der schnellen, kontinuierlichen Regelung und dem damit ungewissem Einfluss auf die Haltbarkeit der Motoren derzeit nicht dauerhaft bei Biogas-BHKW eingesetzt. Hier sind zukünftig andere Lösungen gefragt, wie beispielsweise ein „Pooling“ mit Batteriespeichern. EWE VERTRIEB konnte hierfür eine Lösung finden, bei der durch geschickte Kombination von Batteriespeicher und Biogasanlagen zu einer Reservegruppe eine Win-Win Situation für alle Anlagenbetreiber geschaffen wird.

Neben diesen marktwirtschaftlichen Parametern sollten volkswirtschaftlichen Vorteile von Biogasanlagen nicht vergessen werden. Biogasanlagen tragen zu einer Verminderung von CO2-Emissionen und einer Geruchsreduzierung bei. Zukünftig wird am Energiemarkt voraussichtlich mehr Flexibilität benötigt und nur durch die Anpassung der Anlagen besteht die Möglichkeit für die Anlagenbetreiber, sich auf den verändernden Markt einzustellen.

Literaturverzeichnis

Bundesnetzagentur. (2020). Monitoringbericht 2019. Bonn: Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen.