Autoren: Swantje Nikolai (Wobben Research and Development GmbH, Johannes Brombach (Innovation for ENERCON GmbH), Riccardo Treydel (EWE NETZ GmbH)

Im Rahmen des Arbeitspakets 3 war eine Zielsetzung die neuentwickelten Netzregelkonzepte unterschiedlicher Hersteller vor ihrem Einsatz im öffentlichen Netz in einer Laborumgebung zu testen und deren Wirksamkeit unter reproduzierbaren Bedingungen zu vergleichen. Zu diesem Zwecke wurde ein Benchmark-Verteilnetz entwickelt und im Labormaßstab realisiert.

Eine weitere Zielstellung war es dieses Benchmark-Verteilnetz so weiterzuentwickeln, dass es auch Untersuchungen zu den Themen Netzschutz, Teilnetzbildung, Netzwiederaufbau und Schwarzstart in Netzen mit hohem Anteil Umrichter-basierter Einspeisung ermöglicht.

Für die Realisierung des Benchmark-Verteilnetzes musste die bestehende Laborumgebung ertüchtigt und um Komponenten, Funktionalitäten und Softwarelösungen erweitert werden.

Beschreibung der Laborumgebung

Enercon betreibt in Kooperation mit der Jade Hochschule ein Experimentalsystem, genannt Netz- und Kraftwerksmodell (vgl. Abb. 1), welches Energiesysteme und ihre Komponenten physikalisch im Modellmaßstab nachbildet. Das System ermöglicht es Interaktionen zwischen Erzeugern und Verbrauchern in einer verteilten Netzumgebung zu untersuchen. Neben Gesamtsysteminteraktionstests wird das System zur praktischen Erprobung von neuen Technologien und Betriebskonzepten in einer relevanten Umgebung genutzt und erlaubt Machbarkeitsuntersuchungen in einem frühen Stadium des Entwicklungsprozesses.

Das Netz- und Kraftwerksmodell besteht aus physikalischen Funktionsmustern elektrischer Betriebsmittel, u. a. Lasten, Kraftwerksgeneratoren, Leitungsnachbildungen, Transformatoren, deren Spannungen und Ströme bei vergleichbarem elektrischen Verhalten bezogen auf das öffentliche Netz runterskaliert wurden. Die Skalierung des Systems ist dabei beschränkt auf die Leistungspfade, alle Komponenten zur Beobachtung und Steuerung des Systems entsprechen realen Komponenten aus dem öffentlichen Netz (z.B. Mikro-Controller Hard- und Software). Aus diesen Komponenten können unterschiedliche Typen von elektrischen Energiesystemen nachgebildet und getestet werden. Dies beinhaltet sowohl unterschiedliche Netztopologien, Last- und Einspeiseverhältnisse als auch Betriebskonzepte für das Gesamtsystem oder auch Teilsysteme, wie Windparks.

Abb.1: Netz- und Kraftwerksmodell im Labor für elektrische Energiesysteme an der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven Design des Benchmark- VerteilnetzesEin essentieller Teil des Testsystems ist das Kontrollcenter, im Folgenden als ‚Scenario Control‘ bezeichnet, welches eine zeitsynchrone, reproduzierbare Steuerung und Beobachtung des gesamten Systems ermöglicht. Dies beinhaltet die Monitoring- und Steuerungsaufgaben einer Netzleitstelle sowie die Bereitstellung aller im System erfassten Messdaten, inklusive anlageninterner Messgrößen wie z.B. Zwischenkreisspannungen, zur Visualisierung und Weiterverarbeitung. Darüber hinaus erlaubt das Scenario Control die reproduzierbare Vorgabe der Systemgrenzen, u.a. Lasten und Einspeisungen, sowie von Events im System, z.B. Netzfehler. Die Umgebungsgrößen, wie Windgeschwindigkeiten, Sonneneinstrahlung und das Verbraucherverhalten werden durch Sollwerte für Generatordrehzahl, Spannungsquellen und Impedanzen emuliert und via Scenario Control zeitsynchron an die Komponenten übermittelt.

Basierend auf den Ergebnissen der durch EWE NETZ durchgeführten Netzstudie wurden typische Charakteristika der Mittelspannungssysteme in der Modellregion abgeleitet und durch Kennzahlen spezifiziert. Dazu gehören:

  • Kurzschluss- und Transformatorscheinleistungen
  • X/R- Verhältnisse und Vermaschungsgrade
  • Anteil und Art von Einspeisung durch (volatile) Erneuerbare Energie
  • Last/ Einspeiserelationen und Lastflussverhältnisse

Ausgehend von den ermittelten Kennzahlen und unter Berücksichtigung der o.g. Modellmaßstäbe wurde ein dem öffentlichen Netz entsprechendes Modellnetz entwickelt und am Netz- und Kraftwerksmodell realisiert (vgl. Abb.2 und Abb.3).

Abb.2: Schematische Darstellung des Benchmark- Verteilnetzes inkl. Messstellen Parallel zu der physikalischen Realisierung erfolgte die Modellierung des Labornetzes in der Simulationssoftware Power Factory. Basierend auf diesem Power Factory-Modell wurden kritische Netzsituationen für den Normalbetrieb und für typische Fehlerfälle ermittelt und daraus Testszenarien für die Messkampagnen im Labor abgeleitet. Dies erleichterte die Erstellung der Testszenarien, da durch zeitreihenbasierte Simulationen im Vorfeld die Belastung des Netzes ermittelt werden konnte und somit leichter und unabhängig vom physikalischen Labornetz geeignete Zeitreihen, Netzumschaltungen und Störungen kombiniert werden konnten. Außerdem wurde mittels des Power Factory-Modells die Optimierung der Blindleistungseinstellung der Erzeuger vorgenommen und optimale Sollwerte für Blindleistungskompensation des UW-Trafo bestimmt. Die Simulationsergebnisse standen zusätzlich bei den laufenden Messungen als Vergleichswert zur Verfügung stand.Zur Emulation der Systemgrenzen ‚Last‘ und ‚Einspeisung‘ wurden Messdaten (Last- und Windzeitreihen) aus dem öffentlichen Netz verwendet und auf die Laborumgebung skaliert. Vorgaben, die sich aus dem Betriebskonzept des Netzbetreibers ergeben, wie z.B. Einstellungen für den cos(ϕ) von Erzeugern oder Sollwerte für die Regelung der Stufentransformatoren wurden ebenfalls von den Realdaten abgeleitet.

Ertüchtigung der Laborumgebung

Für die Umsetzung des Benchmark-Verteilnetzes gemäß Abb. 2 am Netz- und Kraftwerksmodell (vgl. Abb. 3) mussten sowohl Betriebsmittel als auch Mess- und Steuereinrichtungen ergänzt werden. Konkret bedeutete das

  • die Bereitstellung von zwei zusätzlichen Funktionsmustern von ENERCON Windenergieanlagen inklusive DC- Quellen (WEA2 und WEA5)
  • die Bereitstellung eines original ENERCON Windparkreglers (FCU E2)
  • die Erweiterung des Stufentransformators des detaillierten Netzes um einen Spannungsregler (original a-eberle Reg-D, bereitgestellt durch EWE NETZ)
  • die Installation von original Fernwirkanlagen von EWE NETZ für alle vier Erzeugungsanlagen sowie für die STATCOM- Einheit
  • die Instrumentierung des Gesamtsystems mit Messtechnik für die 3-phasige Messung von Strom, Spannung und Leistung an insgesamt 21 Netzknoten (bereitgestellt von Phönix Contact zusammen mit EWE NETZ)
  • die Entwicklung und Integration von 20 Schaltvorrichtungen zur Emulation der Leistungsschalter im öffentlichen Netz zum Zwecke der Realisierung der Netzevents (bereitgestellt von EWE Netz mit ENERCON)

Der physikalische Aufbau eines Testnetzes an dem unter Niederspannung betrieben Netz- und Kraftwerksmodell erfolgt über Labormessleitungen und Steckverbindungen. Die Übergangswiderstände dieser Messleitungen und Steckverbindungen haben im Labormaßstab einen signifikanten Einfluss auf das X/R-Verhältnis. Zur Reduktion dieser unerwünschten Resistanzen wurden für den Aufbau des Benchmark- Verteilnetz zusätzliche niederohmige Verknüpfungspunkte im Labor geschaffen. Das erforderte auch eine Anpassung und Ertüchtigung der elektrischen Infrastruktur des Labors.

Abb.3: Realisierung des Benchmark- Verteilnetzes am Netz- und Kraftwerksmodell Eine Aufgabe des Scenario Controls ist die Emulation der Funktionalität der Netzleitstelle. Die dafür notwendige Kommunikation mit Mess- und Stelleinrichtungen (z.B. mit den Fernwirkanlagen) wurde für alle drei Netzregler über die installierte Phönix Technik realisiert.Zur Realisierung der in den Testszenarien vorgesehenen Netzumschaltungen, Last- und Einspeisesituationen, Störungen und Events (z.B. EISMAN –Signale) wurden alle Systemkomponenten Hard- und Softwaretechnisch in das Scenario Control eingebunden.

Darüber hinaus erfolgt über das Scenario Control die gesamte Steuerung der Testszenarien automatisiert. Dies beinhaltet die der Zeitreihen für die Systemgrenzen (Last und Einspeisung), Netzfehler bis hin zur Emulation des Ausfalls von Mess- und Stelleinrichtungen. Die dafür benötigte Kommunikation mit den Einspeisern, Schaltvorrichtungen usw. wurde über Shuttle PCs realisiert. Aufgrund des Vielzahl der verwendeten Geräte musste dazu die IT- Infrastruktur des Labors um einen IT- Schrank und Netzwerkverkabelung erweitert werden.

Zum Zwecke der Beurteilung der Regler und zum Vergleich von Messung und Simulation wurden im Gesamtsystem an 10 Knoten zusätzlich mit IMC- Messtechnik Spannungen und Ströme 3-phasig transient mit einer Abtastrate von 10 kHz beobachtet. Die IMC- Messtechnik wurde von ENERCON bereitgestellt und im Rahmen des Projektes um die Kapazität von 15 Knoten erweitert.

Fazit und Ausblick

Abb.4: Wirkleistungsverlauf am Trafo des  detaillierten Netzes  im Benchmark- Verteilnetz für 6 verschiedene Durchläufe Die Laborerprobung der Netzregler lieferte wichtige Erkenntnisse für die Vorbereitung der Feldtests, da das Benchmark- Verteilnetz nicht nur die im Realen zu erwartende Reaktionen von Erzeugungsanlagen, sondern darüber hinaus auch physikalische Rückwirkungen und Interkationen im System bei unterschiedlichen Störungen abbilden konnte.Für die Erprobung der Netzregler im öffentlichen Netz haben sich die im Vorfeld durchgeführten Labortests als sehr wichtig und hilfreich erwiesen (vgl. Lösungsartefakt: „Teilautomatisierter Netzbetrieb“). Die Tests dienten dem Nachweis der Einhaltung der technischen und funktionalen Anforderungen des Netzreglers vor ihrem Einsatz im öffentlichen Netz. Weiterhin wurden die unterschiedlichen Netzreglerkonzepte auf Basis definierter Testszenarien gegenübergestellt und in ihrer Wirksamkeit hinsichtlich diverser energietechnischer Fragestellungen verglichen. Aufgrund der Reproduzierbarkeit der Testszenarien konnten zum einem die Netzregler untereinander und zum anderen auch unterschiedliche Konfiguration eines Netzreglers verglichen werden (vgl. Abb. 4).

Zum Zweck der Erprobung von Teilnetzbildung im Energiesystem und der Untersuchung von Netzfehlern in Netzen mit hohem Anteil umrichterbasierter Erzeugung wird das Benchmark- Verteilnetz wird derzeit um ein Netzschutzkonzept erweitert. Dies ermöglicht die Untersuchung der Interaktion regenerativer Erzeugungsanlagen mit bestehenden Netzschutzkonzepten im Fehlerfall. Aus der Gesamtsysteminteraktion lassen sich dann u.a. Anforderungen an Einspeisesteuerverfahren für die Windenergieanlagen ableiten (z.B. Fault Ride Through).

Aufgrund der guten Erfahrungen im Rahmen des Projektes ist eine Weiternutzung von beiden Projektpartnern (ENERCON und EWE NETZ) fest vorgesehen. Das Benchmark- Verteilnetz kann dabei als Validierungsumgebung für zukünftige Einspeisesteuerverfahren von Windenergie-, Solar- und Speicheranlagen sowie für den Betrieb von (Teil-) Energiesystemen (z.B. Micro Grids) genutzt werden.