Autoren: Dr. Jutta Fortmann, Frank Glanert

In diesem Artikel geben wir Einblicke in die Entwicklung eines „Interface der Energie“, das im Rahmen des Energiewende-Projekts „enera“ entwickelt wurde. Diese Schnittstelle soll die Kommunikation zwischen dem Menschen und dem zukünftigen Energienetz ermöglichen. Wir zeigen, wie wir Human-Centred Design-Methoden angewendet haben, um dieser Herausforderung zu begegnen, und wie dieser Ansatz erfolgreich mit der Öffentlichkeitsarbeit kombiniert wurde. Wir geben Einblicke in Interviews, Profile, Personas, öffentliche Beteiligung, Benutzeranforderungen, Prototyping und Tests. Wir haben sogar Prototyping- und Testworkshops in einem Wohnhaus in der Projektregion durchgeführt. Diese erwiesen sich aus vielen Gründen als sehr erfolgreich und hinterließen bei den Workshopteilnehmern nachhaltig Eindruck.

Die Herausforderungen der Energiewende treiben unsere Arbeit an

Bis 2050 sollen 80 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden [1]. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir in vielen Bereichen neue Lösungen. Eine neue Infrastruktur für die Energieversorgung ist erforderlich. Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte Energiewendeprojekt enera soll zeigen, wie das künftige Energiesystem als ganzheitliches System funktionieren kann, d.h., von der Energieerzeugung über die Verarbeitung von Energiedaten bis hin zum Energieverbrauch. Im Rahmen von enera haben 33 interdisziplinäre Projektpartner in einem Konsortium zusammengearbeitet, um dieses Ziel in der Projektregion zu erreichen, die aus drei Landkreisen im Nordwesten Deutschlands besteht. Die weitläufige Projektregion am Rande der Nordsee ist geprägt von Kleinstädten, Weiden, Ackerland und Windkraftanlagen.

Die Energiewende wird die Rolle der Menschen von einem passiven Konsumenten hin zu einem aktiven Teilnehmer verändern. Unser Ziel innerhalb von enera war es, diese aktive Teilnahme zu ermöglichen. Deshalb wollten wir eine Benutzeroberfläche entwickeln, die die Kommunikation zwischen dem Menschen als Prosumer und dem zukünftigen Energienetz ermöglicht. Diesem Ziel standen noch einige Herausforderungen entgegen. So befindet sich die zukünftige Infrastruktur noch immer in der Entwicklung. Es musste geklärt werden, welche Funktionen abgebildet werden sollen und welche Schnittstellen in welchem Kontext benötigt werden. Abschließend musste die Benutzeroberfläche physisch und interaktiv gestaltet werden. Darüber hinaus verfügte die Zielgruppe nur über wenige Kenntnisse in Bezug auf die Energiewirtschaft, das Energieversorgungssystem und technische Wechselwirkungen. In den meisten Fällen war sie zudem nicht mit Technologien vertraut, die in Zukunft weit verbreitet sein werden, wie z.B. intelligente Zähler, Sensoren und Aktoren in Smart-Home-Umgebungen, Datenanalyse und Blockchain. Außerdem waren während des Projektzeitraumes kaum vergleichbare Systeme verfügbar. In diesem Artikel stellen wir vor, wie wir mithilfe von Human-Centred Design [2] -Methoden eine Benutzeroberfläche entwickelt haben, über die Menschen mit dem zukünftigen Energienetz kommunizieren können. Und in diesem Fall ist „kommunizieren“ tatsächlich mehrdeutig: Wir haben die technische Herausforderung der Entwicklung einer Benutzeroberfläche erfolgreich mit Partizipation und Öffentlichkeitsarbeit kombiniert, um Menschen nicht nur zu informieren, sondern sie wirklich einzubeziehen und kennenzulernen.

Interviews in der Projektregion helfen, die Zielgruppe und den Nutzungskontext zu verstehen

Ziel des Arbeitspakets des Projekts war es, eine Benutzeroberfläche für das zukünftige Energiesystem zu entwickeln. Um Informationen über den Nutzungskontext und die Zielgruppe zu sammeln, haben wir 15 semi-strukturierte Interviews mit in der Projektregion lebenden Personen durchgeführt. Die Teilnehmer waren Freiwillige, die wir aus Kontakten aus dem erweiterten Projektkontext rekrutiert haben. Um Informationen von einer breiten Gruppe von Vertretern zu erhalten, haben wir Teilnehmer aus den drei Landkreisen der Projektregion ausgewählt, die sich beispielsweise in Bezug auf Geschlecht, Alter, Beruf und Anzahl der im selben Haushalt lebenden Personen unterschieden. Wir haben auch Energieverbraucher und Prosumenten, d.h. Erzeuger und Einspeiser einbezogen. Die Teilnehmer arbeiteten in der Industrie, der öffentlichen Verwaltung, in Handel oder Landwirtschaft und waren entweder selbstständig oder angestellt. Sie lebten in Haushalten mit insgesamt ein bis fünf Personen, meist auf ihrem eigenen Grundstück und waren zwischen 22 und 66 Jahre alt. Zwölf Teilnehmer waren männlich und drei weiblich. Die Interviews dauerten ungefähr 1-2 Stunden und fanden in der natürlichen Umgebung der Teilnehmer statt, d.h. an ihren Arbeitsplätzen oder zu Hause. Bei den Interviews, welche aufgezeichnet wurden, haben die Autoren abwechselnd die Fragen gestellt oder protokolliert. Wir haben die Teilnehmer nach ihrer Lebenssituation, ihren sozialen Netzwerken, ihrem Konsumverhalten, ihrem Mobilitätsverhalten und ihren Einstellungen zu Themen wie Energie, Energiewende und Digitalisierung befragt.

Interview in der enera Modellregion

Anhand der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring [6] haben wir die Interviews ausgewertet. Wir haben festgestellt, dass verschiedene Arten von Menschen, die im Projektgebiet leben, entsprechend ihrer Lebenssituation und ihren Bedürfnissen gruppiert werden können. Zum Beispiel haben wir erkannt, dass Landwirte und ihre Familien ihr tägliches Leben auf dem Bauernhof und rund um die Arbeit dort gestalten. Dort gibt es zum Beispiel keine täglichen Wege zur Arbeit. In der Regel sind diese Höfe hoch automatisiert und offen für funktionale Technologien, die ihre Hof- und Hausarbeit unterstützen. Für sie ist der soziale Zusammenhalt besonders in der Nachbarschaft sehr wichtig. Weitere Gruppierungen, die wir gefunden haben, waren beispielsweise selbstständige Handwerksmeister, Angestellte in kleinen Städten, die offen für neue Technologien sind, sowie Menschen mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis im täglichen Leben und Senioren mit speziellen Anforderungen.

Profile und Personas machen die Personen in der Projektregion greifbar

Wir haben die Ergebnisse der Interviews pseudonymisiert und in sogenannte Profile umgewandelt. Teil dieses Prozesses war eine visuell-haptische und qualitative Bewertung (Kodierung) der Ergebnisse. Was bedeutet das konkret? Die Autoren erkannten sehr schnell den Stellenwert der einzelnen befragten natürlichen Person im Rahmen der weiteren Arbeit und für den erweiterten Kreis der Projektteilnehmer. Die Ergebnisse waren jedoch nicht ohne Weiteres zugänglich. Trotz der überschaubaren Anzahl von Interviewpartnern hätte man einzeln und seriell auf die Dateien und Dokumente zugreifen müssen, um sich einen Überblick über die Ergebnisse zu verschaffen. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, die bisherigen Ergebnisse aus ihren digitalen Gräbern zu befreien und Aussagen zusammen mit großformatigen Skizzen zu erstellen. Zuerst haben wir dies für sechs von fünfzehn Profilen an den Wänden eines Raumes gemacht. Das Ergebnis war überzeugend: Projektmitglieder, die bisher nicht an den Interviews beteiligt waren, konnten wenige Minuten nach Betreten des Raumes die einzelnen Profile kommentieren und sich vorstellen, mit diesen Ergebnissen zu arbeiten. In einem ersten interdisziplinären Workshop wurden daher alle 15 Profile in geeigneter Weise auf großformatigen, transportablen und reproduzierbaren Postern platziert. Noch heute dienen diese Poster als wichtige Arbeitsgrundlage und fassen die Interviewergebnisse auf eindrucksvolle Weise zusammen.

interdisziplinäre Workshops

Für die gezielte Entwicklung einer Benutzeroberfläche haben wir aus den gesammelten Daten Personas [5] abgeleitet. Aus den Interviews, ihrer Analyse und den Profilen haben wir sieben Personas abgeleitet. Diese konkreten, fiktiven Vertreter einer Person oder Personengruppe umfassen ein bis sechs Profile und damit natürliche Personen. Wir fanden heraus, dass klare externe Faktoren wie Geschlecht, Alter, Beruf oder Ausbildung zweitrangig waren. Vielmehr prägten Werte, Bedürfnisse oder persönliche Eigenschaften die Personas. Die Persona Lars lebt und arbeitet beispielsweise in der Region. Er ist ein sogenannter "interessierter Privatverbraucher" und obwohl er einen konkreten Hintergrund hat (angestellt, 33 Jahre alt, in Beziehung, Tochter), machen ihn seine Bedürfnisse und Werte greifbar. Er ist derjenige, der sich für Technologie interessiert, aber nicht immer der Erste sein möchte, der neue Geräte verwendet. Er nutzt digitale soziale Netzwerke eher konsumierend, als dass er etwas teilt und verfügt in seiner Heimatstadt und z.B. in seinem Sportverein über ein starkes „analoges“ soziales Netzwerk.

Öffentlichkeitsarbeit unterstützt die menschzentrierte Entwicklung

Parallel zum strukturierten Ansatz, der sich an Einzelpersonen und eine kleine Kohorte richtet, spielen rückblickend Öffentlichkeits- und Netzwerkaktivitäten in der Region eine entscheidende Rolle. Im Zusammenhang mit der Frage, wie man die Menschen in der Projektregion kennenlernen und aktiv in das Projekt integrieren kann, wurden innovative Formate getestet und erfolgreich durchgeführt, die sowohl für zufällige Begegnungen als auch für die Beteiligung konzipiert sind. Der Maßstab war, mit möglichst geringem Aufwand auf möglichst vielen Ebenen Erfolgschancen zu eröffnen.

Im Sommer fand unmittelbar nach Abschluss und Auswertung der Interviewreihe ein Roadtrip mit zwei elektrisch unterstützten Lasten-Fahrrädern durch die Region statt. Einer der Autoren machte sich mit einem weiteren Kollegen aus dem Projekt auf den Weg durch die drei Landkreise. Ziel war es, spontan mit möglichst vielen Menschen in ihrem jeweiligen Lebensumfeld in direkten Kontakt zu treten. Auf diese Weise kam es innerhalb einer Woche zu etwa 250 zufälligen Begegnungen - im öffentlichen Raum, an den Arbeitsplätzen der Menschen, zu Hause, zu verschiedenen Tageszeiten und bei Freizeitaktivitäten. Neben den Interaktionen auf den verschiedenen Social-Media-Kanälen spielten diese konkreten und unvorhersehbaren oder kurzfristig terminierten Begegnungen eine entscheidende Rolle bei der Vervollständigung des Eindrucks der Menschen in der Region. Sowohl für Profile als auch für Personas wurden übereinstimmende Personen und Merkmale gefunden.

Gespräch während des enera Roadtrips

Im Herbst 2017 fand das erste „Barcamp Dangast“ statt. Eine Veranstaltung, die von Anfang an als partizipatives Format als sogenannte „Unkonferenz“ konzipiert wurde. Die Agenda wird von den Teilnehmern am Veranstaltungstag selbst entwickelt und definiert. Mehr als 60 regionale und überregionale Teilnehmer diskutierten an zwei Tagen in einem offenen Barcamp verschiedene Aspekte ihres jeweiligen konkreten Lebensumfelds. Dank der heterogenen Mischung aus Alter, regionaler Herkunft, Bildung, Beruf und persönlichem Hintergrund lieferte dieses offene Format wichtige Einblicke in die Motivationen, Interaktionen und Bedürfnisse der Teilnehmer. Diese Veranstaltung hat auch den Human-Centred Design-Ansatz ergänzt. Zum Beispiel gab es Sitzungen zum Thema Mobilität, sowie zu erneuerbaren Energien und Diskussionen über Leben, Lernen und Digitalisierung. Beim zweiten Barcamp Dangast im Jahr 2018 konnten Prototypen und Entwicklungsansätze mit einer noch größeren Teilnehmerzahl, aber einer ähnlich heterogenen Zusammensetzung in erheblichem Umfang diskutiert und bewertet werden.

Benutzeranforderungen und Insight-Statements werden formuliert, um Szenarien zu erstellen und den Entwurfsprozess zu unterstützen

Auf Basis der entwickelten Personas wurden weitere interdisziplinäre Workshops durchgeführt, vor allem, um erste Anwendungsfälle und Anwendungsszenarien zu identifizieren und zu beschreiben. Was haben wir also gemacht? Zuerst haben wir jedes einzelne Interview überprüft, um herauszufinden, welche Bedürfnisse hinter den Aussagen stecken. Aufgrund des informellen  Charakters der Gespräche war es gar nicht so einfach, diese Zuordnung vorzunehmen. Selten wurden die individuellen Bedürfnisse eindeutig benannt. Oft mussten die Autoren den Hintergrund und die Absichten hinter den Aussagen identifizieren. Dazu war es hilfreich, die Lebenssituation der Menschen kennenzulernen und sich einen Überblick über die gesamte Entwicklung vom ersten Kontakt bis zu diesem Schritt zu verschaffen. Beim Blick auf alle Ergebnisse insgesamt konnten wir eine Rangliste erstellen, die von den am häufigsten genannten Bedürfnissen wie „Mobilität" und „sozialer Interaktion“ über Bedürfnisse wie „Zeitersparnis“ bis z.B. zu dem „Wunsch nach Nachhaltigkeit“ reicht. Wenn man diese „Trefferliste“ aller 15 Befragten auf die Personen bzw. Profile anwendet, kann man Muster erkennen. Die Persona Lars hatte beispielsweise ein signifikant höheres Interesse an Nachhaltigkeit als alle anderen in der Kohorte.

Es war hilfreich und notwendig zu erkennen, dass geäußerte Benutzerbedürfnisse wie „Geld sparen“ und die Meinungen der Befragten zu beispielsweise „Nachhaltigkeit“ nicht wirklich objektiv sind. Zum Beispiel könnte Nachhaltigkeit für Lars bedeuten, seine 25 Jahre alte Waschmaschine zu behalten, solange sie funktionstüchtig ist. Um dies zu entschlüsseln, mussten sogenannte Insight Statements generiert werden [3]. Dies waren Antworten auf die Frage, wie ein Problem für den Einzelnen (Profil) gelöst oder seine Bedürfnisse befriedigt werden können. Das Insight Statement von Lars, welches dem Bedürfnis nach „sozialer Interaktion“ entspricht, lautete beispielsweise „Der Austausch von Erfahrungen und Wissen in meinem persönlichen Umfeld ist mir wichtig.“. Auf dieser Basis haben wir in interdisziplinären Workshops mit Projektmitgliedern Anwendungsfälle und Anwendungsszenarien vorbereitet. Diese Arbeit war in vielerlei Hinsicht spannend und herausfordernd. Einerseits stellte sich heraus, dass die Arbeit im Workshop-Format in unterschiedlicher Zusammensetzung dazu diente, eine Vielzahl von Mitarbeitern mit dem Thema und der Methodik vertraut zu machen. Zum anderen mussten jeweils die vorhandenen Informationen sowie frühere Erkenntnisse und Arbeitsergebnisse aufbereitet werden. Die unterschiedliche Herangehensweise an einige völlig neue Aufgaben führte dann auch zu überraschenden und sehr unterschiedlichen neuen Ergebnissen.

Persona-Lars

Workshops für Ideenfindung, Prototyping und Tests finden in einem Wohnhaus in der Projektregion statt

Nachdem wir Personas entwickelt, Benutzeranforderungen definiert und typische Szenarien entwickelt hatten, beschäftigten wir uns mit Ideenfindung, Prototyping und Testing. Für diese Phase haben wir uns entschlossen, weiter mit der Persona Lars zu arbeiten. Wir haben uns für Lars entschieden, da er die Persona war, die den meisten Befragten entsprach. Auf der Grundlage der bisher gewonnenen Erkenntnisse und des Gesamtprojektziels haben wir die folgende Designherausforderung formuliert [3]: „Wie kann Lars in die Lage versetzt werden, bewusst, kurzfristig und einfach Einfluss auf seinen Energiehaushalt zu nehmen?“. Darüber hinaus wurden die tatsächlichen Bedürfnisse der Person Lars als „Wie können wir?“ - Fragen formuliert, um den kreativen Prozess zu motivieren [3]. Diese Fragen wurden aus den Insight Statements abgeleitet, z.B. "Wie können wir den Austausch von Erfahrungen und Wissen in Lars’ persönlichem Umfeld unterstützen?".

Ziel dieser Phase war es, viele Ideen für eine Benutzeroberfläche zu generieren und frühzeitig iteratives Feedback zu erhalten. Auf diese Weise konnten geeignete Konzepte weiterentwickelt und unangemessene Ideen frühzeitig verworfen werden. Zu diesem Zweck haben wir zwei zweitägige Workshops in einem Wohnhaus in der Projektregion durchgeführt. Wir beschlossen, die Workshops in einem Wohnhaus abzuhalten, weil wir wollten, dass die Arbeits- und Testumgebung in Bezug auf die Zielgruppe, also Persona Lars, so natürlich wie möglich ist. Außerdem wollten wir, dass Teilnehmer, die an Testsitzungen teilnahmen, kurze Wege haben und sich wohlfühlen.

An jedem Workshop-Tag entwickelten und bauten 8-9 Mitglieder des Projekts Lo-Fi-Prototypen in kleinen Gruppen. Nach dem Quick and Dirty [4] -Ansatz verwendeten die Teilnehmer alle Arten von Alltagsmaterialien, um Lo-Fi-Prototypen, mögliche Formen oder Interaktionen zu bauen. Um von verschiedenen Perspektiven zu profitieren, haben wir Projektmitglieder mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen (Technik, Marketing, Wirtschaft) und unabhängig ihres Geschlechts einbezogen. Darüber hinaus nahmen Freiwillige, die aus persönlichen Kontakten rekrutiert wurden, in der Projektregion leben und der Person Lars entsprechen, am Testing teil. Die Freiwilligen waren 20 bis 55 Jahre alt, mit 8 Männern und 5 Frauen. An jedem Workshop-Tag, jeweils nach dem Prototyping, fand ein Speed-Testing statt. Während einer Testsitzung bewerteten 5-6 Teilnehmer jeden Prototyp innerhalb von 10 Minuten einzeln. Parallel dazu fanden Testsitzungen in verschiedenen Räumen statt, wobei die Teilnehmer von Raum zu Raum gingen, um alle Prototypen zu testen. Am zweiten Workshop-Tag konnten die Projektmitglieder entweder einen anderen Aspekt der prototypisierten Idee vom vorherigen Tag entwickeln und testen oder eine neue Idee auswählen und prototypisieren. Das Verfahren des zweiten Workshop-Tages war dann das gleiche wie für den ersten Tag.

Design Challenge Verprobung

Die Workshops führten zu etwa 100 Schnittstellenideen, 12 entwickelten Lo-Fi-Prototypen und Feedback aus vier Testsitzungen mit insgesamt 13 Teilnehmern. Schnittstellenideen waren u.a. ein sich bewegender Roboter, der über das Haus wacht, ein interaktiver Spiegel, der als Energiesteuerung dient, automatische tägliche Energieberichte, ein Plug-and-Play-System zur Erfassung von Zählerständen, ein tragbarer beleuchteter Würfel, der die Energiedaten des Hauses visualisiert, und eine App zur Verwaltung der Aufwandsentschädigung für die Bereitstellung von Rechenleistung in Zeiten, in denen Strom überversorgt ist. Wir haben die getesteten Prototypen anhand des Feedbacks aus den Testsitzungen und ihrer Übereinstimmung mit den Anforderungen analysiert, die wir im Hinblick auf die Designherausforderung formuliert haben. Wir haben herausgefunden, welche prototypischen Ideen es wert sind, weiterverfolgt zu werden, welche Aspekte gut funktionieren und welche Aspekte verfeinert werden sollten oder kombiniert werden könnten. Beispielsweise hat sich das Konzept des interaktiven Badezimmerspiegels sehr gut bewährt. Insbesondere schätzten die Teilnehmer es, Informationen über den Energiehaushalt zu erhalten, während sie eine manuelle, regelmäßige tägliche Aufgabe wie das Zähneputzen ausführen. Wir haben auch festgestellt, dass der Energieverbrauch nicht negativ dargestellt werden darf, da es Situationen gibt, in denen der Energieverbrauch unvermeidbar ist oder absichtlich akzeptiert wird.

Insgesamt waren die Workshops eine sehr erfolgreiche Erfahrung - sowohl für die teilnehmenden Projektmitglieder als auch für die Testteilnehmer. Die kompakte Umgebung, d.h., ein Tag zum Kennenlernen, zur Ideenfindung, zum Prototyping und zum Testen, ermöglichte es, zahlreiche Ideen zu generieren und frühzeitig Feedback zu erhalten, welches Aufschluss darüber gab, ob eine Idee weiterverfolgt werden sollte oder nicht. Die natürliche Umgebung diente den Projektmitgliedern als kreativer Anreiz und die Umgebung des Hauses ermöglichte ein sehr komfortables Arbeiten. Darüber hinaus konnten Projektmitglieder, die mit diesem Ansatz völlig unvertraut waren, bereits nach kurzer Einarbeitungszeit aktiv am Workshop teilnehmen. Am Ende waren sie überrascht, wie der Workshop verlief, wie viel getan wurde und wie viele Ergebnisse in nur wenigen Stunden gesammelt wurden. Für die Teilnehmer der Testsitzungen war der Standort leicht erreichbar und einladend, da er sich in ihrer Nachbarschaft befand. Die realitätsnahe Umgebung ermöglichte es, Prototypen zu erstellen und direkt vor Ort zu testen, z.B. einen interaktiven Spiegel im Badezimmer. Dies stimulierte den Prototyping-Prozess und ermöglichte es den Teilnehmern, sich leicht in die zu testende Situation hineinzuversetzen. Außerdem waren die Testteilnehmer dankbar, dass sie dazu beitragen konnten, eine realistische Herausforderung in ihrem Lebensumfeld zu lösen. Auch Wochen nach den Testsitzungen sprachen die Testteilnehmer über das Projekt und ihre Erfahrungen und boten ihr eigenes Zuhause oder Geschäftsräume für zukünftige Workshops an.

Schlussfolgerungen

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der qualitative Ansatz gemäß des Human-Centred Design die geeignete Wahl für die Entwicklung eines „Interface der Energie“ war, d.h. einer Nutzerschnittstelle für eine Infrastruktur, die sich noch in der Entwicklung befindet. Besonders hilfreich waren intensive Gespräche während Interviews mit Einzelpersonen, ein gutes Verständnis von dem Themenbereich „Energiewende“ und zukünftigen Technologien durch die mit uns zusammenarbeitenden Projektmitglieder, sowie gut vorbereitete, interdisziplinäre Workshops mit vielen Bildern und Beispielen zur Unterstützung des Designprozesses. Die Arbeit war jedoch herausfordernd und es gab mehrere Lernerfahrungen. Zum Beispiel war die Rekrutierung von Befragten sowie das spätere Finden von Testern, die einer Persona entsprachen, nicht einfach und nahm Zeit in Anspruch. Wir haben zusätzlichen Wert in den sogenannten Profilen gefunden. Obwohl Personas bekannt und anerkannt sind, war es nützlich, mit der natürlichen Person hinter dem Profil und ihrer individuellen Persönlichkeit zu arbeiten. Die Arbeit in mehreren Workshops und verschiedenen Zusammenstellungen war herausfordernd, aber auch inspirierend und abwechslungsreich. Durch diese Arbeit waren viele verschiedene Personen aus dem Projekt beteiligt und konnten mit Methoden und Vertretern aus der Region in Kontakt treten. Es war möglich, Prototypentests in öffentliche Veranstaltungen wie das Barcamp zu integrieren und so viele Menschen zu erreichen. Wir fanden großen Wert darin, kompakte Prototyping-Workshops in einem Wohnhaus in der Projektregion durchzuführen. Insbesondere die Ausführung in einem Privathaus in der Projektregion bot eine Reihe von Vorteilen. Darüber hinaus wirkten sich die Workshops nachhaltig auf die Testteilnehmer aus. Selbst Wochen nachdem die Teilnehmer tatsächlich an einer Testsitzung teilgenommen hatten, sprachen sie über das Projekt und boten ihre Hilfe an.

Anmerkung

Dieser Artikel ist in englischer Fassung erschienen in Fortmann, J., & Glanert, F. (2019). Human-Centered Design in the Energy Turnaround Project Enera – It Pays to Go Off the Beaten Track!, i-com18(1), 93-100. doi: https://doi.org/10.1515/icom-2019-0005.

Literaturverzeichnis

[1] Umweltbundesamt. (2018). Indicator: Renewableenergy.

Abgerufen 12/2018 von https: //www.umweltbundesamt.de/en/indicator-renewable-energy

[2] DIN EN ISO 9241-210.(2010). Ergonomics of human-system interaction – Part 210: Human-centred design for interactive systems (ISO 9241-210:2010).

[3] IDEO.org. (2015). The Field Guide to Human-Centered Design.

[4] IDEO. (2002). Method Cards for IDEO. Abgerufen 12/2018 von https://www.ideo.com/work/method-cards

[5] Cooper, A., Reimann, R., & Cronin, D. (2007). About Face 3: The Essentials of Interaction Design. Wiley.

[6] Mayring,P. (2002). Einführung in die qualitative Sozialforschung. Beltz.