Betritt man den Labortrakt der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven, dann ahnt man nicht, was sich einzigartiges hinter den Türen verbirgt. Wir haben das Labor für elektrische Energiesysteme besucht und einiges über die Arbeit mit Netzmodellen und Ereignissimulationen in der Demonstrationsanlage erfahren. Hier werden Netze geschaltet und Steuerverfahren erprobt. Und zwar nicht in Form computergestützter Simulationen, sondern unter realen Bedingungen. Im Rahmen des Projekts und für die wichtigen Systemtests ist enera zu Gast im Labor, welches Enercon schon seit vielen Jahren zur Entwicklung neuer Anlagenfunktionalitäten nutzt.

Wie Modelleisenbahn für das Stromnetz

In diesem Labor sind alle Komponenten eines regulären Stromnetzes vorhanden und das reale Verhalten eines Mittelspannungsnetzes kann nachgebildet werden. Neben Leitungsnachbildungen und Generatoren gibt es hier auch Windenergieanlagen, E-Ladesäulen und sogar vier Kilometer Kabel im Keller des Gebäudes, die das eigentliche Netz darstellen. Ähnlich wie eine Modelleisenbahn eine kleine Nachbildung einer echten Eisenbahn inklusive ihrer Strecke sein kann, sind die Netzbauteile eine Nachbildung ihrer realen Vorbilder.

Mithilfe der gleichen Komponenten, die auch in der realen Netzwelt genutzt werden, wird im Versuch geschaltet gesteuert und gemessen. Ereignisse wie Wind, Sonne, Verbraucherverhalten oder sonstige Nutzerinteraktion werden dabei nachgebildet und reale Energieflüsse im Netz werden erfasst. So entsteht ein Bild, mit dem abgeschätzt werden kann, wie sich Szenarien in der Realität abspielen würden. Und zwar auf Basis eines realen physikalischen Netzes. Ströme und Spannungen treten dabei im Maßstab 1:100 auf.

enera kooperiert mit Enercon

Die Laborumgebung wird von Enercon im Rahmen einer Forschungskooperation mit der Jade Hochschule genutzt. Im Zuge des Projektes enera stellt der Windenergieanlagenhersteller das Energielabor  als Kooperationsleistung bei. Die Geschichte der Anlage reicht bis in die 70iger Jahre zurück. Viele der eingebauten Schaltschränke stammen tatsächlich aus dieser Zeit und erfüllen bis heute in aktuellen Forschungs- und Demonstrationsvorhaben ihren Zweck. Ausgestattet mit zum Teil modernisierter Technik stehen sie unauffällig neben neueren Komponenten wie z.B. von Windenergieanlagen.

Aufgrund ihres Charakters ist die Anlage so in dieser Form weltweit einzigartig. Es handelt sich wie dargestellt um ein kleinskaliertes reales Netz, wodurch unter anderem auch so genannte „Schmutzeffekte“, anders als bei computergestützten Simulationen, deutlich werden. Für Forscher und Anwender sind dies wichtige Erkenntnisse, da die beobachteten Effekte eins zu eins auf die reale Situation übertragbar sind. So bleiben unangenehme Überraschungen bei späteren Feldtests aus.

Diese Möglichkeit wird insbesondere vor der Inbetriebnahme neuer Netzbetriebsmittel oder Steuerverfahren, wie z.B. dem in enera beabsichtigten Einsatz von intelligenten Netzreglern, genutzt.

Netzstudie und Spitzenkappung

Auf Basis der enera Netzstudie, wurden Komponenten für die Tests im Labor ausgewählt und ähnlich wie in der Modellregion kombiniert, sodass ein vergleichbares Verhalten des Netzes entsteht. Dieses Labortestnetz wird zur Erprobung von drei intelligenten Netzreglern unterschiedlicher Hersteller genutzt, welche alle die gleiche Aufgabe haben: Engpässe und Überlastungen im Stromnetz zu vermeiden. Die Konzepte dieser Netzreglerlösungen sind sehr unterschiedlich. Manche sollen direkt im Umspannwerk installiert werden, andere arbeiten wiederum als Netzwerkkomponente im Rechenzentrum. Im Kern geht es in einem ersten Schritt darum, die so genannte Dynamische Spitzenkappung zu automatisieren, bei der die Netzregler in der operativen Umsetzung des 3 Prozent-Ansatzes zum Einsatz kommen und somit die Reduzierung der Einspeiseleistungen aus Erneuerbaren Energien reduzieren. Genau dieses gewünschte Verhalten auf der Mittelspannungsebene wird vorab im Labor erprobt, bevor dann ab 2019 in der enera Modellregion in drei Umspannwerksbereichen „echt“ geregelt wird.