Autoren: Umberto Albano, Fabian Oeltjenbruns, Hendrik Brockmeyer, Dr. Magnus Pielke  (alle be.storaged GmbH)

Wie und auf welche Weise ein Speicher zur Systemstabilität beitragen kann

Magnus Pielke: Herzlich Willkommen hier zum Interview über den Hybridgroßspeicher Varel, der als assoziierter Partner des Betreibers be.storaged am enera-Projekt teilgenommen hat. Bei dem Speicher handelt es sich um einen besonderen Speicher – aus verschiedener Hinsicht – zum einen aufgrund der Entstehungsgeschichte und zum anderen aus technischer Sicht.

Zunächst zur Entstehungsgeschichte. Der Speicher ist entstanden aus einer Initiative eines japanischen Technologie-Konsortiums, bestehend aus Hitachi Chemical, Hitachi Power Solutions und NGK Insulators. Dieses Konsortium hat einen Förderantrag bei der Wirtschaftsfördergsellschaft NEDO in Japan eingereicht, um diesen besonderen Speicher in Deutschland zu errichten und zu demonstrieren.

Japan als Land mit vielen Hochtechnologie-Lieferanten ist mit diesem Projekt bestrebt die Technologie in Zukunftsmärkten zu demonstrieren. Für den Einsatz modernster Batterietechnik wurde Deutschland durch den großen Fortschritt bei der Gestaltung der Energiewende als Leitmarkt identifiziert. Niedersachsen als das Energieland Deutschlands und EWE als regionaler Energieversorger mit einem überdurchschnittlichen Anteil regenerativer Energieerzeugung im eigenen Verteilnetz und be.storaged als Speicherprojektierer und Betreiber wurden dabei als Pioniere ausgemacht und angesprochen. Dieses Umfeld erlaubte die bestmögliche Demonstration der japanischen Batterietechnologie. Zudem bot das Schaufensterprojekt „enera“ zum einen beste Möglichkeiten an der Entwicklung neuer Anwendungen partizipieren zu können. Zum anderen trägt die große internationale Strahlkraft des enera-Projektes stark zur Erreichung der Ziele des japanischen Konsortiums bei.

Aus technischer Sicht ist besonders, dass dieser Speicher aus zwei verschiedenen Batterietypen besteht. Auf der einen Seite nutzen wir einen Lithium-Ionen Speicher, deren Technologie wir z.B. vom Handy kennen. Auf der anderen Seite steht ein spezieller Natrium-Schwefel-Speicher.

Fabian Oeltjenbruns: Beide Systeme bilden eine Einheit, die über den „Control-Container“ gesteuert werden. Dieser legt fest, welche der beiden Systeme gerade geladen bzw. entladen werden. Er verteilt auf intelligente Art und Weise die Energieflüsse, so dass wir jederzeit in der Lage sind Anforderungen aus der Vermarktung des Speichers zu erfüllen. Jede der beiden Speichertechnologien besitzt technologische Vorteile, die wir durch eine optimierte Betriebsführung voll ausnutzen.

Diese (Lithium-Ionen-)Speicher sind in der Lage, sehr schnell Energie aufzunehmen bzw. abzugeben, allerdings jeweils nur für einen kurzen Zeitraum. So haben sie eine Leistung von 7,5 MW bei einer Kapazität von knapp 3 MWh. Damit sind sie innerhalb von gut 20 Minuten voll be- bzw. entladen. Dabei besteht ein Speichersystem jeweils aus den Batteriezellen, einem Wechselrichter, der von Gleichspannung auf Wechselspannung wandelt, sowie einem Transformator, der auf die richtige Netzspannung transformiert.

Im Innern eines Lithium-Ionen-Batteriecontainers gibt es verschiedenen Komponenten. Neben Systemen zur Steuerung und Klimatisierung sowie zur Sicherheit in Form von CO2-Löschanlage, Not-Aus-Systemen und Rauchdetektoren. Handelt es sich im Wesentlichen um Batterieschränke.

Dabei besteht ein einzelner Batterieschrank aus 32 Batteriepacks, in denen jeweils 6 Rundzellen verschaltet sind. Insgesamt sind in jedem Lithium-Ionen-Speichercontainer elf Schränke eingesetzt. Damit setzen wir in den fünf Containern über 10.000 Rundzellen ein. Von der Kapazität ist das vergleichbar mit 1 Mio. AA-Zellen. Klingt viel, ist aber energiewirtschaftlich eher wenig. Wir vergleichen diesen Speichertyp deswegen gerne mit einem Wasserglas: Schnell zu füllen und zu leeren, aber mit geringer Kapazität.

Ganz im Gegensatz zu den Natrium-Schwefel-Speichern, die eher einer großen bauchigen Flasche ähneln. Ihr Vorteil besteht in der großen Kapazität von 20 MWh der hier installierten Anlage. Bei einer Leistung von 4 MW braucht es also gut 5 Stunden, um sie einmal zu be- oder entladen. Es handelt sich dabei um eine Hochtemperaturbatterie, die erst bei Temperaturen um 300 °C arbeitet. Das Besondere an ihr ist, dass sie eine flüssige Anode und Kathode hat, dafür aber einen festen Elektrolyten.

Auch dieser Batteriespeicher besteht aus Batteriemodulen, die einzelne Zellen zusammenschließen. In diesem Fall sind 6 Module so groß wie Bockspringbetten in einem Container verbaut. Darin sind 192 ca. 50 cm große Batteriezellen installiert. Im Wesentlichen sind die Zellen Keramikröhren, die den Elektrolyten darstellen.

Um ins Netz einzuspeisen, braucht auch die Natrium-Schwefel-Batterie einen Wechselrichter sowie einen Transformator.

Von dieser in Europa einzigartigen Kombination beider Batteriesysteme versprechen wir uns mehr Möglichkeiten den unterschiedlichen Anforderungen des Marktes gerecht zu werden. Heute setzen wir das System im Wesentlichen für die Erbringung von Primärregelleistung ein, dem Werkzeug zur europaweiten Stabilisierung unserer Netzfrequenz. In Zukunft können wir uns auch vorstellen, die Spannungshaltung im Verteilnetz zu unterstützen oder Netzengpässe zu entschärfen. Von der Leistungsfähigkeit und Kapazität wäre dieser Speicher in der Lage alle Haushalte der Stadt Varel für bis zu fünf Stunden lang mit Strom zu versorgen, wenngleich dies kein geplanter Einsatzzweck ist, für den der Speicher vorgehalten wird.

Magnus Pielke: Im Rahmen der Kooperation mit dem enera-Projekt haben wir mit dem Batteriespeicher nicht nur am Flexibilitätsmarkt teilgenommen und Primärregelleistung erbracht, sondern diesen auch als ersten Speicher für den Sekundärregelleistungsmarkt in Deutschland beim Übertragungsnetzbetreiber Tennet für seine Regelzone präqualifiziert. Darüber hinaus haben wir ein neues Konzept für die Primärregelleistungserbringung von Batteriespeichern im Zusammenspiel mit dezentralen Erzeugern entwickelt. Dieses erklärt Hendrik Brockmeyer nun einmal etwas ausführlicher.

Hendrik Brockmeyer: Im Rahmen des enera-Projektes haben wir uns intensiv mit der Erbringung von Systemdienstleistungen wie Primärregelleistung und Sekundärregelleistung beschäftigt. So ist der Hybridspeicher in Varel der erste Batteriespeicher in der Tennet-Regelzone, der alleinstehend sowohl für die positive als auch die negative Sekundärregelleistung präqualifiziert ist. Darüber hinaus haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir die große Leistungsfähigkeit eines Batteriespeichers – die beispielsweise weit über die technisch durch den Netzbetreiber in der Primärregelleistung geforderten Paramater hinaus geht – nutzen können, um auch technische Einheiten mit weniger Flexibilität für eine höherwertige Systemdienstleistung zu befähigen.

So wurde in den letzten Monaten ein Pooling Konzept entwickelt, um volle installierte Leistung der Batteriespeicher mit anderen technischen Einheiten zu kombinieren, die für sich allein nicht die Anforderungen an die Primärregelleistung erfüllen.

Damit die technische Einheit, die nicht eine eigenständige sogenannte Reserveeinheit  (Gruppe von technischen Einheiten, die Regelenergie bereitstellen) bilden können, zu einem Leistungsbeitrag in einer Reservegruppe herangezogen werden können, müssen die technischen Eigenschaften der technischen Einheit durch die bestehenden Reserveanlage in Form des Hybridgroßspeichers veredelt werden.

Dazu wurden umfangreiche Simulationen durchgeführt, die zum einen das Poolkonzept insgesamt funktional bestätigten (Simulation von Vollabrufen, Doppelhöcker und Präqualifikationsfahrt) und zum anderen den kontinuierlichen Betrieb für die Jahre 2017 bis 2019 simulativ abgebildet haben.

Simulationsuntersuchung: Vollabruf der Reservegruppe

Abbildung 1 Simulationsuntersuchung: Vollabruf der Reservegruppe

In der obigen Abbildung ist ein simulierter Vollabruf dargestellt. In dem ersten Diagramm werden alle technischen Einheiten (TE) in einer aggregierten Ersatzanlage dargestellt, so dass hier das Verhalten aller technischen Einheiten (ohne dem Batteriesystem) und dem separat dargestelltem Batteriesystem ersichtlich werden. Dabei kompensiert unser Hybrid-Batteriespeicher die Leistung der technischen Einheiten, so dass in Summe der Poolabruf der Reservegruppe korrekt erfolgt. Zum Zeitpunkt t = 60 s erreicht die Reservegruppe in Summe die angeforderte Leistung. Anschließend erfolgt die Ausregelung des Batteriesystems, nachdem weitere technische Einheiten die jeweilige Leistung erreichen.

Neben einem klassischen Vollabruf haben wir ebenfalls simulativ überprüft, ob das Konzept auch bei einem langfristigen Szenario bestand hat. Dazu wurden die tatsächlichen Frequenzdaten aus dem europäischen Verbundnetz für die Jahre 2017 bis 2019 genutzt und in der Simulation als Datengrundlage genutzt.

Untersuchungsgegenstand der Simulationsstudie war dabei, ob die Reservegruppe insgesamt PQ-Anforderungen für die PRL über den Simulationszeitraum einhalten kann.

Simulation der Reservegruppe 2019

Abbildung 2 Simulation der Reservegruppe 2019

In der obigen Abbildung ist das Ergebnis der Simulation auf Basis der Frequenzdaten für 2019 dargestellt. Im oberen Diagramm ist der Frequenz-datensatz dargestellt. Es ist auffällig, dass es im Januar zu einem starken Frequenzeinbruch kam. In dem zweiten Diagramm wird das Speichermanagement visualisiert. Auf der vertikalen Achse ist dabei der relative energetische Zustand der Batterie als State-of-Charge (SoC) abgebildet. Die gestrichelte schwarze Kennlinie stellt einen 50 prozentigen Ladezustand des Batteriesystems dar. Die blauen Horizontalen bei 25 und 75 Prozent ergeben sich, da hier die Trigger für das Speichermanagement angelegt sind. Überschreitet der State-of-Charge die 75 Prozentmarke, so wird in der Folge ein Handelsgeschäft durch das Speichermanagement ausgelöst, um den Ladezustand wieder in den mittleren Ladebereich zurückzuführen. Die roten Horizontalen bei 10 und 90 Prozent visualisieren die Grenzen für das 15-Minuten-Kriterium. In dem unteren Diagramm werden die Leistungsbeiträge der sonstigen technischen Einheiten der Reservegruppe dargestellt.

In der Simulation wurde der Betrieb der Reservegruppe algorithmisch umgesetzt und die Auswirkungen auf die Erbringung der Reservegruppe sowie die Auswirkungen auf das Speichermanagement des Batteriesystems betrachtet. Insgesamt kam es in dem Simulationszeitraum zu keinem Zeitpunkt zu einer kritischen Situation der Reservegruppe, die eine Leistungserbringung gefährdet hätte.

Wir sind somit in der Lage die präqualifizierte Leistung dieses Pools auf bis zu 18 MW zu erhöhen und damit eine Verdoppelung der Primärregelleistung gegenüber der Ausgangssituation herbeizuführen. Der Hybridspeicher alleine kann eine Primärregelleistung von bis zu 9 MW erbringen, mit dem Pooling acht weiterer technischer Einheiten, die allesamt alleine für den Primärregelleistungsmarkt nicht präqualifizierbar gewesen wären, kann die Poolleistung 18 MW erreichen.

Magnus Pielke: Das ist ja eine beachtliche Leistung. Doch bei enera ging es ja auch immer um die Bereitstellung lokaler Flexibilitäten für Bedürfnisse direkt vor Ort. Während die Bereitstellung von Primär- und Sekundärregelleistung bundes- bzw. europaweit ausgeschriebene Systemdienstleistungen der Übertragungsnetzbetreiber sind, haben die Verteilnetzbetreiber andere Systempflichten und daher andere Anforderungen an Flexibilität. So ist neben dem lokalen Engpassmanagement im Verteilnetz die Spannungshaltung durch ein adäquates Blindleistungsmanagement eines der bedeutendsten Themen. Welchen Beitrag ein Batteriespeicher – wie dieser Hybridgroßspeicher hier in Varel – leisten kann, erklärt jetzt unser Kollege Umberto.

Umberto Albano: Die Erzeugung und der Verbrauch von Wirkleistung müssen zu jedem Zeitpunkt ausgeglichen sein. Eine zu hohe Differenz führt zu Problemen im Stromnetz und macht sich in der Netzfrequenz bemerkbar. Das Instrument der Primärregelleistung arbeitet dagegen und reguliert die Wirkleistung im Verbundnetz. Der Grundsatz gilt auch für positive und negative Blindleistung.

Blindleistung führ zu zusätzlichen Verlusten, Spannungsproblemen im Energienetz und möglichen Pönalen gegenüber anderen Netzbetreibern. Das Bestreben des Netzbetreibers ist es daher, diese Differenz zu minimieren. Der Hybridspeicher in Varel kann zur Lösung des Problems beitragen, indem dieser Blindleistung zur Netzstabilisierung bereitstellt.

Im Folgenden werden die Begriffe untererregt und übererregt zur Klassifizierung von Blindleistung verwendet. Ein untererregtes Verhalten entspricht dem Verhalten einer Spule. Das Verhalten ist Spannungssenkend. Ein übererregtes Verhalten entspricht dem Verhalten eines Kondensators. Das Verhalten wirkt Spannungshebend. Das Zählpfeilsystem entspricht der DIN VDE-AR-N 4110, somit ist untererregte Blindleistung positiv.

In den folgenden Abbildungen ist der Blindleistungsverlauf vom NEDO-Speicher und vom Umspannwerk für die Monate November und Dezember des Jahres 2019 zu sehen.

Blindleistungsverhalten des Hybridspeichers vom 01.11. - 31.12.2019

Abbildung 3 Blindleistungsverhalten des Hybridspeichers vom 01.11. - 31.12.2019

Blindleistungsverhalten am Umspannwerk vom 01.11. - 31.12.2019

Abbildung 4 Blindleistungsverhalten am Umspannwerk vom 01.11. - 31.12.2019

Aus dem dargestellten Blindleistungsverlauf des Umspannwerks ist zu entnehmen, dass dieses in der ersten Hälfte vom November mit durchschnittlich 3 Mvar und im Maximum mit 4,5 Mvar belastet wird. In dieser Zeit erfolgte vom NEDO-Speicher keine Blindleistungsbereitstellung.

Nachdem ab dem 17.11 der Hybridspeicher für den Ausgleich der Blindleistung eingesetzt wird, ist am Blindleistungsverhalten des Umspannwerks die Optimierung gut zu erkennen. Ab diesem Zeitpunkt schwank die Blindleistung des Umspannwerks nur noch zwischen -1,0 und 2,5 Mvar.

Magnus Pielke: Das zeigt eindrucksvoll, dass der Speicher auch bei dem lokalen Management des Verteilnetzes einen Beitrag leisten kann und damit sowohl für das Wirkleistungsmanagement über die Regelleistungsprodukte als auch für das Blindleistungsmanagement zur Spannungshaltung im Verteilnetz eingesetzt werden kann. Wir hoffen, dass wir mit diesem kleinen Interview ein wenig über das Konzept des Hybridgroßspeichers sowie seiner Einsatzgebiete zur Systemstabilität erklären konnten. Vielen Dank für Ihr Interesse. Wenn Sie mal einen Eindruck vor Ort gewinnen wollen, sprechen Sie uns gerne direkt an.