Autoren: Frank Glanert (EWE AG)

Mein Haus wird kurzerhand umfunktioniert: tagsüber arbeiten wir mit mehreren Projektmitarbeitern an Prototypen und abends kommen Tester aus der unmittelbaren Umgebung vorbei und bewerten, was wir mit einfachsten Mitteln und in kürzester Zeit aus unseren Ideen gestaltet haben. Das Einfamilienhaus wird in diesen Tagen kurzerhand zum Prototyping-Testlabor umfunktioniert. Für mich persönlich ist das Ganze eine echte Herausforderung und letztlich eine sinnvoll vollendete Verbindung von Job und Privatem. Zeitweise sind bis zu 15 Personen im Haus unterwegs, ich mag das rege Treiben und dass es für alle Beteiligten ein Erlebnis ist.

Ein Wohnhaus wird zum Seminarhaus

Die Idee eine Anwendung für den Haushaltsbereich in einem privaten Haushalt zu entwickeln und möglichen Testern die Einstiegsschwelle so niedrig wie möglich zu gestalten, scheint auf den ersten Blick naheliegend. In der Umsetzung ist das jedoch nicht so einfach: ein Einfamilienhaus ist ja nicht per se als Seminarhaus geeignet; mit genügend Platz für zum Beispiel acht bis zehn Teilnehmer. Da wird es selbst im Wohnzimmer schnell eng und wenn dann noch Materialien wie Metaplanwände und Flipcharts hinzukommen, dominiert die Enge. Die Enge, die man vielleicht auch in den Köpfen vermeiden will. Und dann sollen auch noch Prototypen gebaut werden. In unterschiedlichen Räumen und später in einer Art „Speed-Dating“ Gästen vorgestellt werden. „Die Idee war gut, aber lass uns das nicht versuchen“, höre ich mich in der Planungsphase sagen. Ich gebe zu, es war eine Herausforderung. Aber das Ergebnis überzeugt.

Familiäre Arbeitsatmosphäre

In diesem Fall wurden die Einwohner des Hauses zu Teilnehmern bzw. Moderatoren des Workshops. Und: Not macht erfinderisch. Für Flipcharts hatten wir keinen Platz. Aber es gibt wiederbeschreibbare, elektrostatisch haftende Folie, die man an Fenster und Wände bringen kann. Platz satt zum Schreiben UND zum Stehen, bzw. Sitzen. Apropos sitzen: bunte Sitzkissen erweitern schnell das Spektrum an Sitzplätzen. Und der hauseigene Fernseher ist in aller Regel auch smart genug, um einen Einführungsvortrag widerzugeben. Mit ein bisschen gutem Willen ist die Arbeitssituation angenehm und sagen wir im besten Sinne familiär. Die Bewegungsfreiheit ist gewährleistet und es stehen genügend Räume zum Ausweichen und Arbeiten zur Verfügung. Los geht‘s.

Lego bei der enera Design Challenge

Prototyping: Ideen anfassbar machen

Bereits beim Brainstorming stellt sich heraus, dass die Rechnung aufgeht. Es ist viel einfacher sich Lösungen für bestimmte Anwender in einer bestimmten Region vorzustellen, wenn man genau dort vor Ort ist. Und in einem Wohnhaus, das als solches auch genutzt wird, sprudeln die Ideen für entsprechende Anwendungen nur so. Im weiteren Verlauf werden die Prototypen genau in den Räumen umgesetzt, für die sie auch erdacht werden. Das erleichtert später auch den Probanden die Übertragungsleistung in den eigenen Alltag vorzunehmen. Ideen werden so schnell aufgenommen, verworfen und können anhand wichtiger Aspekte neu betrachtet werden. An diesen beiden Tagen läuft alles wie am Schnürchen und in etwas mehr als 24 Stunden entstehen alleine sechs Prototypen, zu denen es auch schon ganz konkretes Nutzerfeedback gibt. Lebensechtes Foto-, Film- und Dokumentationsmaterial inklusive.

Übertragungsleistung erleichtern

Am Abend sitzen wir entspannt zusammen. Die Grenze zwischen Experten und Anwendern stellt keine Barriere im eigentlichen Sinne dar. Das ist auch dem Umstand zu verdanken, dass das alles sehr ungewöhnlich, persönlich und nah ist. Die Nutzer lernen bei dieser Art des Prototypings eine ganz neue Art der Wertschätzung und Beteiligung kennen. Die Mitglieder des Teams haben auch neue Erfahrungen gemacht und der ansonsten eher abstrakte „Nutzer“ stellt sich als sehr sympathisches und authentisches Gegenüber heraus. Der nicht nur eine Meinung hat, sondern auch ganz eigene Ideen und selbst bei nur fünf bzw. nach dem zweiten Tag zehn Teilnehmern, ein sehr großes Spektrum an individuellen Unterschieden aufweist.

Rapid Prototyping

Der vorstehende Blogartikel ist unmittelbar nach und unter dem Eindruck eines so genannten Rapid Prototyping entstanden. Im Verlaufe des Projekts wurden zur Gestaltung von Anwendungen und Nutzerschnittstellen – insbesondere für das Interface der Energie – solche Veranstaltungen durchgeführt. Ziel ist es, mit möglichst geringem zeitlichem Aufwand zu einer Vielzahl unterschiedlicher Ideen zu kommen und zu ersten Prototypen unmittelbar Feedback zu erhalten. Diese Art von interdisziplinaren Workshops ist eingebettet in das so genannte Human Centered Design (HCD) und baut auf den Ergebnissen der qualitativen Erhebungen auf. Die Teilnehmer der Workshops – also die Probanden oder Tester – rekrutieren sich aus den zeitlich davor liegenden Gesprächen und Aktionen. Sie wurden so ausgewählt, dass sie zur ausgewählten Personengruppe, den Personas, passen.