Autoren: Dr. Heinrich Klein (EWE AG), Dr. Justin Heinermann (EWE AG), Jan-Luca Weidenhöfer (EWE AG), Lucas Detje (EWE AG), Dr. Matthias Postina (EWE AG), Norman Ihle (EWE AG), Christoph Franzius (OFFIS)

Eine zunehmende Elektrifizierung des Verkehrssektors stellt aufgrund der zur erwartenden hohen Gleichzeitigkeit von Ladevorgängen eine große Herausforderung für Netzinfrastruktur im Verteilnetz dar. Ohne intelligente Maßnahmen zur Ladesteuerung oder massive Einschränkungen der zur Verfügung stehenden Ladeleistung werden durch den Ausbau der Elektromobilität auch große Investitionen für eine Verstärkung der Verteilnetze benötigt.

Im Projekt Grid4Mobility wurde ein Ansatz zum intelligenten Laden erprobt, der eine Überlastung der Verteilnetze verhindert und gleichzeitig die individuellen Ladebedürfnisse der Kunden berücksichtigt. Für die Akzeptanz der Maßnahmen sowie der Elektromobilität als solche ist letzterer Punkt von zentraler Bedeutung. Das Projekt gliedert sich in zwei Phasen: Die Umsetzung im Rahmen einer Simulation sowie einen technischen Durchstich zur Demonstration der Machbarkeit.

Einleitung

Wenn es demnächst immer mehr E-Autos gibt, stellt das die Stromnetze insbesondere im Bereich der Niederspannung vor große Herausforderungen. In Abbildung 1 ist die Situation im Verteilnetz mit mehreren Haushalten, die an einer gemeinsamen Ortsnetzstation hängen, schematisch dargestellt.  Geht man von einem Szenario aus, in dem Elektroautos vornehmlich zuhause geladen werden, ist bei einem ungesteuerten Ladeverhalten mit einer hohen Gleichzeitigkeit des Ladevorgangs in den Abendstunden zu rechnen, wenn Pendler an ihren Wohnort zurückkehren.

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Abbildung 1: Grid4Mobility zielt auf die Netzsicherheit im Niederspannungsnetz ab. In diesen Ortsnetzen sind bis zu 150 Haushalte und ggf. kleinere Gewerbe. Ein möglicher Grund für Engpässe kann das gleichzeitige Laden vieler E-Autos zur selben Uhrzeit sein.

Um diese Herausforderung im Niederspannungsnetz zu meistern sind mehrere Optionen denkbar.

Bei einem „weiter so wie bisher“-Szenario, in dem ein ungesteuertes Laden mit der bisher standardgemäß verfügbaren Hausanschlussleistung möglich ist, müssten die Niederspannungsnetze massiv verstärket werden. Dieses Szenario würde zwar keine zusätzlichen Einschränkungen für den Kunden bedeuten, allerdings wäre massive Investitionen nötig, die dann über die Netzentgelte umgelegt werden müssten.

Bei einem „restriktiven“-Szenario würde die standardgemäß verfügbare Hausanschlussleistung soweit reduziert, dass kein oder nur ein moderater Ausbau im Niederspannungsbereich aufgrund von Elektromobilität nötig würde. Auf der anderen Seite führt dies aber dazu, dass Kunden ihr E-Auto nur langsam aufladen können, was zu starken Einschränkungen im Mobilitätsverhalten und somit zu einem Akzeptanzproblem der Elektromobilität führen kann.

Bei einem „Strompreis-getriebenen“-Szenario würden Anreize für das Ladeverhalten auf Basis des Strompreises erfolgen. Dieses Szenario klingt zunächst sehr verlockend, es ist aber mit großen Herausforderungen und Gefahren verbunden. Zum einen wird in der Niederspannung noch auf absehbare Zeit keine flächendeckende Infrastruktur mit geeigneter Mess- und Kommunikationstechnik verfügbar sein. Zum anderen ist der Strompreis bisher vollständig von lokalen Engpässen entkoppelt. Ein niedriger Strompreis, z.B. aufgrund hoher Windeinspeisung, würde daher im schlimmsten Fall im Verteilnetz zu einem gleichzeitigen Laden aller zur Verfügung stehenden E-Autos führen und somit das Problem des gleichzeitigen Ladens dramatisch verschärfen. Auch regulatorisch hat ein Stromlieferant bisher keinerlei Anreize auf lokale Netzengpässe Rücksicht zu nehmen, genauso wie die Möglichkeiten eines Verteilnetzbetreibers zur marktlichen Einflussnahme sehr begrenzt sind.

Mit dem Grid4Mobility-Szenario haben wir im Rahmen des SINTEG-Projektes enera nun einen Ansatz geschaffen, der die Belange der Netzsicherheit (Vermeidung von Engpässen) in Einklang bringt mit den Kundenbedürfnissen und einem möglichst unaufdringlichen technischen Ansatz. Grundhypothese hierbei ist, dass eine „Entgleichzeitigung“ der Ladevorgänge in der Regel möglich ist, ohne dass der Kunde hierdurch Komforteinbußen erleidet.  Eine solche „Entgleichzeitigung“ des Ladevorgangs ist möglich, wenn man das Kundenbedürfnis nach Mobilität in den Fokus stellt. Selbst wenn in einem Ortsnetz in den Feierabendstunden alle E-Autos nahezu gleichzeitig angeschlossen werden, müssen nicht alle E-Autos möglichst schnell wieder zur Verfügung stehen. In der Regel wird das E-Auto erst am nächsten Morgen wieder benötigt und nur bei einem kleinen Teil der E-Auto-Flotte besteht der Bedarf, dass das E-Auto in möglichst kurzer Zeit wieder verfügbar ist.

Genau auf diesem Szenario setzt Grid4Mobility auf. Das System, bestehend aus mehreren dezentralen Agenten, ermittelt die möglichen Ladezeiten und -leistungen der teilnehmenden Fahrzeuge, ohne dabei den (simulierten) Netzengpass zu überschreiten. Ziel ist, die rechtzeitige Verfügbarkeit des Fahrzeuges weiterhin zu gewährleisten und gleichzeitig das Laden netzdienlich zu flexibilisieren. Die Verhandlungsergebnisse der Fahrpläne werden in einer dezentralen Ethereum-Blockchain festgehalten und ein netzdienliches Verhalten wird mittels „Enercoins“ belohnt. Diese Enercoins sind hierbei eine virtuelle Bepreisung der Flexibilitäten und können als eine Art Netzkarma verstanden werden. Wer sich häufig netzdienlich verhält indem er Flexibilitäten bereitstellt, darf im Fall eines erhöhten Ladebedarfs bevorzugt laden und bezahlt dies dann wiederum durch seine Enercoins.

Das Projekt

Das G4M-Projekt gliedert sich grob in zwei Projektphasen. In der ersten Projektphase wurde gemeinsam mit dem Institut OFFIS e.V. das Agentenframework aufgebaut und dann in einer Simulationsstudie verifiziert. In der zweiten Projektphase wurde die Machbarkeit im Rahmen eines technischen Durchstichs nachgewiesen. In diesem Zuge wurde auch das Software-Framework erweitert, um eine höhere untertägige Flexibilität zu ermöglichen und den oben beschriebenen Use Case besser zu erfüllen.

Phase 1 – Simulation mit Agentensystem

Im ersten Schritt wurde gemeinsam mit dem Institut OFFIS e.V. der G4M-Ansatz in einer Simulation verifiziert. Hierbei wurde eine verteiltes Agentensystem als Basis für das Software-Framework gewählt. Jeder der Agenten steht für einen Haushalt. Er hat eine Vorstellung davon, welche Energie der Haushalt im Lauf des kommenden Tages je Viertelstunde verbrauchen möchte – ein erster Fahrplan. Im Rahmen einer Verhandlung der Agenten untereinander, werden die Fahrpläne so angepasst, dass kein Engpass am Trafo entsteht. Hierbei wird davon ausgegangen, dass nur ein Teil der Last am Trafo für eine Flexibilisierung zur Verfügung steht. Das Verhandlungsergebnis wird der dezentralen Logik der Agenten folgend in einer transparenten Blockchain abgespeichert. Ist ein Kunde bereit seinen Fahrplan anzupassen und realisiert auch die aus den Verhandlungen resultierende Anpassung, so erhält der Kunde hierfür Enercoins – eine nicht monetäre Incentivierung. Diese Enercoins können dann eingesetzt werden, wenn der Trafo-Engpass auf freiwilliger Basis nicht verhindert werden kann.  Durch Einsatz von Enercoins können Kunden in einer solchen Engpassphase mit einer höheren Priorität laden als solche, die keine Enercoins einsetzen. Dies soll ein Community-dienliches Verhalten Incentivieren, ohne das es zu einer monetären Vergütung kommt.

Im Rahmen der zweiten Projektphase wurden die hier erarbeiten Konzepte verfeinert und weiter an die Realität angepasst. Insbesondere im Hinblick auf die Generierung von Fahrplänen für das Laden von E-Autos wurde in der zweiten Projektphase auf ein untertägiges Laden gesetzt, um der vom Kunden benötigten Flexibilität Rechnung zu tragen.

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Abbildung 2: Screenshot der graphische Oberfläche des in Phase 1 entwickelten und im einer Simulation getesteten Softwareframeworks. Hier wird die nicht monetäre Incentivierung mit Enercoins für eine Anpassung des Fahrplans gezeigt.

Verbundene Aktivitäten

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Mit seinem Blockchain-Ansatz wurde das Projekt Grid4Mobility auch in die „dena-MULTI-STAKEHOLDER-STUDIE Blockchain in der integrierten Energiewende“ als Use Case aufgenommen.

Challenge auf der Bosch Connected Experience

Auf Basis des in der ersten Phase entwickelten Simulationsframeworks wurde gemeinsam von der EWE AG und dem Institut OFFIS e.V eine Challenge auf der Bosch Connected Experience (BCX) durchgeführt.

Phase 2 - Technischer Durchstich und Feldtest

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Abbildung 3: Impressionen aus dem technischen Durchstich

In der zweiten Projektphase wurde das in der ersten Phase im Labor getestete Software-Framework nun in einem realen Demonstrator eingesetzt.  Hierzu wurde über einen Zeitraum von vier Wochen ein Feldtest organisiert, bei dem Kollegen der EWE AG einen Nissan Leaf für Dienstfahrten nutzen konnten. Die Wallbox, über die das Auto geladen wurde, wurde hierbei in ein simuliertes Ortsnetz mit einem simulierten Engpass eingebettet. Grid4Mobility sorgte während des Feldtests dafür, dass der Akku des Autos rechtzeitig für die Dienstfahrten geladen war und gleichzeitig die Engpässe im simulierten Ortsnetz berücksichtigt wurden. Konkret führte das zu einer zeitlichen Verschiebung der Ladeleistung aus den Zeiträumen mit Engpässen.

Beschreibung des Feldtests – Technischer Aufbau, Verhandlung und Netzkarma

Für den Feldtest wurde das Zuhaue18, ein für Demonstrationszwecke im Smart Home Bereich konzipiertes Haus, mit einer steuerbaren Wallbox ausgerüstet. Das für den Feldtest genutzte E-Auto (ein Nissan Leaf) wurde durch zusätzliche Hardware befähigt, Informationen über den Akku-Füllstand zu liefern. Das Mobilitätsbedürfnis wurde über einen Kalender erfasst, in dem die Zeiträume, während denen das E-Auto benötigt wird dynamisch von den Feldtest-Teilnehmern eingetragen wurden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei einer weiteren Umsetzung Kalendereinträge nur eine mögliche Quelle für Machine-Learning gestützte Prognosen des Mobilitätsbedarfs sind. Da das E-Auto im Rahmen des Feldtests aber von Kollegen der EWE AG im Rahmen der üblichen Arbeitszeiten genutzt wurde, was zu einem A-typischen Lagebedarf führt, haben wir uns hier auf einen Kalender als Datenquelle fokussiert.

Auf Basis der Kalenderdaten sowie des Akkustandes wurden von einer eigens für den Feldtest entwickelten Energie-Management-Komponente untertägig (im 1/4h-Rhythmus) Fahrpläne für das Laden des E-Autos generiert (vgl. Ablaufplan in Abbildung 4). Durch diese dynamische Erstellung möglicher Fahrpläne konnte kurzfristigen Änderungen im Ladebedarf Rechnung getragen werden. Zusätzlich zu dem realen Haushalt mit E-Auto wurden im Feldtest zwei weitere generische Haushalte simuliert sowie eine auf das Szenario angepasste Schwelle für einen Netzengpass simuliert. Das in Projektphase 1 entwickelte Software-Framework wurde nun eingesetzt um die Fahrpläne aus dem realen Feldtest in Einklang mit den Fahrplänen der simulierten Haushalte sowie mit den Netzrestriktionen zu bringen. Im Nachgang zu jedem Tag erfolgte bei Einhaltung der verhandelten Fahrpläne für den jeweiligen eine Incentivierung mit Enercoins. Hierzu wurde das tatsächlich im Feldtest realisierte Ladeverhalten, mit dem in der Blockchain persistierten Fahrplan verglichen. 

Abbildung 4: Schematischer Ablaufplan für das gesteuerte Laden G4M-Feldtest mit den Schritten der Fahrplangenerierung und Verhandlung über den zu realisierenden Fahrplan.

Ergebnisse Grid4mobility

In Abbildung 5 sind zwei Snapshots aus dem Feldtest abgebildet. Hier sieht man eine (simulierte) Engpasssituation im Ortsnetz, die durch ein ungesteuertes Laden des E-Autos hervorgerufen wird.  Im Rahmen unserer technischen Demonstration, konnten wir demonstrieren, wie ein solcher Engpass auf Basis des in Phase 1 entwickelten Agentensystems vermieden werden kann. Hierbei ist zu beachten, dass die benötigte Ladezeit des E-Autos deutlich nicht deutlich länger wird als bei einem ungesteuerten Laden, da der Engpass nur über einen kurzen Zeitraum besteht. Im Szenario einer statischen Begrenzung der Ladeleistung, würde die Ladezeit deutlich stärker beeinflusst. Darüber hinaus hat der Fahrer des E-Autos keine Mehraufwände wie eine detaillierte Fahrplanerstellung durch die G4M-Lösung (abgesehen vom Auto-Kalender im Feldtest), da die Verhandlungen komplett automatisiert und im Hintergrund ablaufen.

intelligentes G4M-Lademanagment

Abbildung 5: Vermeidung von (simulierten) Netzengpässen durch intelligentes G4M-Lademanagment. Oben abgebildet sind zwei Snapshots der benötigten Leistung aggregiert an der Engpassstelle. Der Zeitpunkt des Snapshots wird durch die grüne Linie angezeigt. In a) wurde das E-Auto kurz zuvor mit der Wallbox verbunden. Man sieht deutlich, dass bei einem ungesteuerten Laden das Trafo-Limit gerissen würde (hellblauer Bereich oberhalb des Trafo-Limits). Nach den Verhandlungen des Agentensystems wird aber immer ein Fahrplan ausgewählt, der keinen Engpass verursacht (orangene Linie). Wie man zu einem späteren Zeitpunkt b) sieht, wurde der Engpass auch tatsächlich durch eine Abflachung der realisierten Ladekurve zu Beginn des Ladevorgangs vermieden. Trotzdem wurde der Akku des E-Autos fast genauso zügig wie bei einem ungesteuerten Laden aufgeladen, da nur kurzfristig eine Engpasssituation bestand.

Im Rahmend es Feldtests konnten wir am realen Objekt demonstrieren, dass es möglich ist Netzengpässe durch gesteuertes Laden zu vermeiden, ohne dass es hierbei zu einer Beeinträchtigung des Nutzers kommt.

Internationales und nationales Szenario

Während die dezentrale Softwarearchitektur mit Blockchain-Ansatz eher als internationales Szenario gesehen werden kann, wird in Deutschland eine Steuerung des Ladeverhaltens über die Smart-Meter-Gateway Infrastruktur erfolgen. Für eine Umsetzung in Deutschland wäre daher perspektivisch ein nationales Szenario denkbar bei dem nach Möglichkeit die SMGW-Infrastruktur für die Kommunikation, Tarifierung und Abrechnung genutzt werden könnte - Voraussetzung ist hier natürlich ein flächendeckender SMGW-Rollout.

Zusammenfassung und Ausblick

Mit dem Projekt Grid4Mobility haben wir einen alternativen Ansatz erprobt, die Belange der Netzsicherheit in Einklang zu bringen mit einer möglichst unauffälligen, kundenfreundlichen Lösung.

Das hierbei entwickelte Agentensystem kann sowohl in einem zentralen als auch in einem dezentralen Szenario eingesetzt werden und die Speicherung der Fahrpläne erfolgt für alle Teilnehmer transparent in einer Blockchain-Architektur. Das Projekt gliederte sich in zwei Phasen – eine Simulationsphase und eine Feldtest-Phase. Hierbei konnte gezeigt werden, dass sich der G4M-Ansatz auch mit realer Technik umsetzen lässt.

Beim Feldtest wurde aber auch deutlich, dass es bisher wenig bis keine standardisierten und auslesbaren Schnittstellen für den Ladezustand des E-Autos gibt und auch die Steuerung des Ladevorgangs über Wallboxen noch in den Anfängen steckt. Für die Entwicklung einer flächendeckenden Lösung für intelligentes Lademanagement sind solche herstellerunabhängigen Standards von elementarer Bedeutung.

Das Potential der hier vorgestellten Lösung geht aber noch weit über die reine Vermeidung von Engpässen hinaus. In einer nächsten Ausbaustufe wäre es möglich, PV-Anlagen und Speicher mit in die Prognose und Fahrplanerstellung aufzunehmen. Der Kunde hätte hierdurch den großen Vorteil eines gesteigerten Eigenverbrauchs und die Netze könnten auch in Phasen hoher Einspeisung entlastet werden, da die Ladevorgänge mit der Einspeisung, soweit von den Kundenbedürfnissen her möglich, zeitlich in Einklang gebracht werden.