Autoren: Tammo Filusch, Alexander Heilmann, Michael Lange, Jörg Linnemann (alle EWE VERTRIEB GmbH), Dr. Jens Erfurth, OGE; Sönke Klug, PKV

Energieflüsse in der Industrie neu denken und Erlöspotenziale erschließen

Das weiterentwickelte Virtuelle Kraftwerk der EWE VERTRIEB GmbH ermöglicht es, Energieflüsse in Unternehmen zu optimieren, dadurch Erlöspotenziale zu heben und gleichzeitig CO2-Emissionen zu mindern. Dies wurde im Rahmen des Forschungsprojektes enera zusammen mit zwei Industriebetrieben demonstriert. Produktionsprozesse wurden genau untersucht und lokales Flexibilitätspotenzial in der Stromerzeugung und dem Stromverbrauch erschlossen. Diese neue Flexibilität konnte dann im Rahmen der Kommunikationskaskade der Stromnetzbetreiber für netzstabilisierende Maßnahmen eingesetzt werden. Dafür bestand eine Nachfrage auf dem regionalen Flexibilitätsmarkt in der enera-Modellregion.

Sektorkopplung bei der Wärmebereitstellung für Produktionsprozesse und Senkung von CO2-Emissionen in der Papier- und Kartonfabrik Varel GmbH

Im Rahmen des enera-Projektes wurde bei der Papier- und Kartonfabrik Varel GmbH (PKV) geprüft, welche zusätzlichen Freiheitsgrade und Möglichkeiten beim Betrieb eines vorhandenen Gas- und Dampfkraftwerks mit einem zusätzlichen Power-to-Heat-Modul (PtH-Modul) im Hinblick auf CO2-Einsparungen und eine Erlösoptimierung der Stromeinspeisung entstehen. Die Umsetzung diente gleichzeitig als gutes Beispiel dafür, wie eine erfolgreiche Sektorkopplung im Bereich der Wärmebereitstellung für Produktionsprozesse aussehen kann. Heute wird am Produktionsstandort, siehe Abbildung 1, ein wärmegeführtes Gas- und Dampfkraftwerk betrieben, welches den für die Produktionsprozesse erforderlichen Dampf liefert. Das Gas- und Dampfkraftwerk wird sehr wirtschaftlich im Kraft‑Wärmeverbund im Rahmen einer Dampfsammelschienenanlage betrieben. Hierzu stehen im Verbund vier Gasturbinen, vier Kessel und fünf Dampfturbinen zur Verfügung. Als Primärenergie kommen ausschließlich Erdgas und das in der Prozesswasserbehandlung anfallende Biogas zum Einsatz. Als Nebenprodukt des Gas- und Dampfkraftwerks wird Strom produziert, welcher ebenfalls in den Produktionsprozessen verwendet oder in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden kann. Unter Verwendung des neuen PtH-Moduls ist PKV in der Lage, überschüssigen Windstrom aus dem Netz zur Bereitstellung erforderlicher Prozesswärme zu nutzen. Dadurch kann das Gas- und Dampfkraftwerk heruntergeregelt und CO2-Emissionen vermieden werden. Darüber hinaus wird die Nachfrage von Netzbetreibern nach mehr Flexibilität in Stromerzeugung und ‑verbrauch bedient, für die eine Zahlungsbereitschaft auf dem regionalen Flexibilitätsmarkt besteht.

Die Überprüfung der technischen Prozesse zur Flexibilitätslieferung über den regionalen Flexibilitätsmarkt konnte im Rahmen des Projektes durch eine Lieferung von 4,6 MWh Flexibilität am 28.11.2019 erfolgreich validiert werden. In diesem Zusammenhang bildete das Virtuelle Kraftwerk der EWE die Schnittstelle zwischen der PKV und dem Markt. Die Flexibilitätslieferung konnte primär durch gezieltes Zuschalten des PtH-Moduls, also einer Erhöhung der Last, erreicht werden. Als große Hürde beim Einsatz des PtH-Moduls auf dem regionalen Flexibilitätsmarkt stellten sich die hohen Steuern, Abgaben und Umlagen im Strombezug dar, die durch die Erlöse über den Markt in der Regel nicht erwirtschaftet werden konnten. Ein weiteres Hemmnis im flexibilitätsmarktgetriebenen Betrieb des PtH-Moduls stellten die leistungsabhängigen Netzentgelte dar. Es bestand die Gefahr, durch das Flexibilitätsangebot hohe Lastspitzen im Netzbezug zu verursachen, die ein höheres Entgelt beim Netzbetreiber zur Folge hätten. Durch gezielte politische Anreize zur Behebung der erläuterten Hemmnisse ließe sich zukünftig noch mehr Flexibilitätsliquidität schaffen. Neben der Flexibilisierung des Produktionsprozesses konnte eine marktgetriebene Optimierung der Energieflüsse hinsichtlich benötigter und eingespeister Energie vorgenommen werden. So konnte für die PKV ein neuartiger Algorithmus entwickelt werden, der in Abhängigkeit der aktuellen Strom-Spotmarktpreise (Intraday-Markt) das beste Strombezugs- und Einspeiseverhalten ermittelt.

: Luftbild der Papier- und Kartonfabrik Varel GmbH (Quelle: PKV GmbH)

Abbildung 1: : Luftbild der Papier- und Kartonfabrik Varel GmbH (Quelle: PKV GmbH)

CO2-Einsparung und Demonstration erfolgreicher Sektorkopplung durch die OGE GmbH

Die OGE GmbH, ein Fernleitungsnetzbetreiber für Gas, möchte die gasbetriebene Verdichtung zukünftig verstärkt durch eine strombasierte Verdichtung substituieren und dadurch CO2-Emissionen senken. Das von der OGE betriebene größte Ferngasnetz Deutschlands mit einer Länge von rund 12.000 km bietet in diesem Zusammenhang optimale Voraussetzungen zur Demonstrierung moderner Sektorkopplung im Bereich Prozessdruck.

Der Zweck der Anlage am Standort Krummhörn ist die Verdichtung von Erdgas aus dem vorgelagerten Fremdnetz in das Gas-Übertragungsnetz der OGE. Aufgrund des Druckunterschieds vor und nach dieser Koppelstation muss das Gas an der Übergabestation verdichtet werden. Die OGE investiert im Rahmen des „Netzentwicklungsplans Gas“ in die im Netz eingesetzten Kompressoren. Am Standort Krummhörn wurde im Jahr 2019 ein elektrisch angetriebener Kompressor errichtet und in Betrieb genommen. Der in Abbildung 2 dargestellte Kompressor liefert in Kombination mit weiteren am Standort vorhandenen, durch Gasturbinen angetriebenen Kompressoren die notwendige Flexibilität im Transportprozess zur Teilnahme am regionalen Flexibilitätsmarkt in der enera-Modellregion. Durch den Anschluss an das Stromverteilnetz der EWE NETZ und die räumliche Nähe zur erneuerbaren Erzeugung ist der Standort dafür besonders gut geeignet. Im Rahmen des enera-Projektes wurde der elektrische Verdichter gezielt angeschaltet, wenn zu viel Windstrom im Stromnetz prognostiziert wurde. In diesem Zusammenhang gab es die Randbedingung, dass er nur dann eingesetzt werden durfte, wenn der Einsatz gegenüber anderen Betriebsmitteln wirtschaftlich erfolgen konnte. Deshalb stand neben der technischen Machbarkeit der Flexibilitätslieferung auch die Identifikation von wirtschaftlichen Anwendungsfällen im Fokus des Projektes.

Im Fokus der Flexibilisierung: Der elektrische Verdichter der OGE GmbH (Quelle: OGE GmbH)

Abbildung 2: Im Fokus der Flexibilisierung: Der elektrische Verdichter der OGE GmbH (Quelle: OGE GmbH)

Im Rahmen von enera-Feldtests konnte der elektrische Verdichter am 12.03.2020 gezielt 4,2 MWh Flexibilität liefern, die von den Netzbetreibern zur Verhinderung von Netzengpässen genutzt werden konnte. Auf diese Weise konnte die technische Machbarkeit der Flexibilitätslieferung seitens OGE erfolgreich demonstriert werden. Betrachtet man die finanzielle Auswertung der Feldtests, so standen einem Erlös aus der Vermarktung von Flexibilität die Steuern, Abgaben und Umlagen auf den bezogenen Strom entgegen. Aufgrund dieser Kosten war der Einsatz des elektrischen Verdichters in vielen Fällen wirtschaftlich nur schwer vertretbar. Auch in diesem Anwendungsfall ließe sich die Marktliquidität durch konkrete regulatorische Anpassungen, zum Beispiel durch einen Erlass von Steuern, Abgaben und Umlagen auf die bereitgestellte Flexibilität, erheblich verbessern.

Das Virtuelle Kraftwerk als Partner für die Flexibilisierung von Produktionsprozessen

Durch kooperative Zusammenarbeit zwischen den Anlagenbetreibern und den Mitarbeitern des Virtuellen Kraftwerks der EWE VERTRIEB konnten komplexe Prozesse flexibilisiert und auf Vermarktungsprozesse abgebildet werden. Darüber hinaus wurden innovative Lösungen geschaffen, die sich grundsätzlich auf unterschiedliche Industrieunternehmen und Prozesse übertragen lassen. Es wurde nachgewiesen, dass sich die Nachfrage der Netzbetreiber nach Flexibilität durch industrielle Prozesse technisch sehr gut bedienen lässt, jedoch der regulatorische Rahmen einer wirtschaftlichen Vermarktung regionaler Flexibilität häufig im Weg steht. Jenseits der Bereitstellung von Flexibilität für den regionalen enera-Markt wurden für die Industrieunternehmen, durch die Anbindung an das Virtuelle Kraftwerk der EWE, weitere Vorteile generiert. So können diese von einer energetischen Optimierung der Produktionsprozesse profitieren, die sich zukünftig verstärkt an günstigen Intraday-Strompreisen orientieren können ohne das Produktionsergebnis zu beeinflussen.

Als eine wichtige Chance konnte die Vermarktung verfügbarer Flexibilität aus industriellen Prozessen in bereits heute existierenden Märkten aufgezeigt werden. EWE besitzt an dieser Stelle bereits viel Know-how aus der Präqualifizierung anderer Anlagen in den Märkten Minutenregelleistung, Sekundärregelleistung, Primärregelleistung und Abschaltbare-Lasten-Verordnung. Die maximal wertschöpfende Kombination des enera-Markts mit diesen Märkten hängt wesentlich von der bereits oben als komplex angesprochenen Integration der Produktionsprozesse in die Flexibilitätserbringung ab. Dies konnte im Rahmen von enera erfolgreich validiert werden.