Autoren: Sylwia Henselmeyer, Jan Saussenthaler (SIEMENS AG)

Das Kernstück von Siemens Use Case Active Network Management (ANM) sind die neuen Konzeptionen und Implementierungen zur Anwendung von Demand Response im Verteilnetz in der Modellregion des enera-Vorhabens. Diese Konzeptionen wurden im Projektverlauf entwickelt und im Feldtest praktisch erprobt. Von zentraler Bedeutung im ANM Use Case ist dabei das Ampelkonzept, das vom Bundesverband für Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vorgeschlagen, im enera Arbeitspaket 3 detailliert und von Siemens umgesetzt wurde.

Das BDEW Ampelkonzept gliedert sich in:

  • Grüne Ampelphase: Das Netz befindet sich in einem engpassfreien Zustand bzw. eventuelle geringfüge Probleme im Netz kann der Netzbetreiber mit seinen eigenen Betriebsmitteln lösen. Auf dem Markt ist daher freier Handel erlaubt (Marktphase).
  • Gelbe Ampelphase: Es sind moderate Engpässe zu verzeichnen, die der Netzbetreiber mittelfristig über die auf dem Markt verfügbare Flexibilität lösen kann (Interaktionsphase).
  • Rote Ampelphase. Die Engpässe sind schwerwiegend und können nur durch Abregelung der erneuerbaren Erzeugung rechtzeitig gelöst werden (Netzphase).

Der Use Case ANM von Siemens konzentriert sich dabei auf die gelbe Ampelphase im Prognosemodus und soll eine realistische Vorausschau zur Engpass-Auflösung geben und damit die lokale und regionale Versorgungssicherheit durch Fahrplanvorschläge stützen. Der verfolgte Lösungsansatz wird kurz skizziert:

Das Ziel ist zum einen die Klassifikation des aktuellen bzw. des künftigen Netzzustandes mittels der Ampellogik und zum anderen die Ableitung der erforderlichen Maßnahmen zur Reduktion bzw. Behebung der identifizierten Engpässe. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem Einsatz der flexiblen Leistung. Das ANM bündelt mehrere Applikationen, deren Ziel es ist, den jetzigen und zukünftigen Netzzustand zu ermitteln und dazugehörige Netzoptimierungsvorschläge zu generieren. Somit ist das ANM bestens geeignet, das Ampelkonzept aus Sicht des Verteilnetzbetreibers zu realisieren. Zu den Hauptapplikationen des ANMs gehören:

  • Distribution System State Estimator (DSSE): Innovative Zustandsschätzung für Verteilnetze, die mit der fehlenden Messwertredundanz in symmetrischen und unsymmetrischen Verteilnetzen umgehen kann.
  • Voltage Var Control (VVC): eine Applikation, die auf Basis von Ergebnissen der Zustandsschätzung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Kriterien den optimalen Einsatz von heterogenen Betriebsmitteln zur Steuerung im Netz berechnen kann. Die Betriebsmittel reichen von den üblichen zur Spannungs- und Blindleistungsoptimierung bis zur flexiblen Leistung.
  • Schnittstellenapplikationen, die externe Daten wie Messwerte, Fahrplandaten oder -Prognosen verarbeiten können sowie Ergebnisdaten an Dritte, darunter Ergebnisse der Zustandsschätzung sowie Marktanfragen ausgeben können.

Abbildung 1 zeigt das ANM-Zustandsdiagramm zur Ermittlung der Ampelphase für den Prognosemodus. Als Inputdaten werden erwartet:

  • Berechnungszeitstempel in der Zukunft,
  • Statisches Netzmodell inklusive Betriebsmitteldaten, Konnektivität und Information über den Normalzustand der Schalter. Vorhandene geplante Schaltmaßnahmen.
  • Last- bzw. Erzeugungsprognosen an mindestens einem Punkt im Netz und ggf. die Information über den Prognosefehler, wie z.B. Mean Avarage Percentage Error (MAPE).
  • Erzeugungsfahrpläne, mit bereits erfolgter Vermarktung der flexiblen Leistungen.

Abbildung 1: ANM-Zustandsdiagramm zur Ermittlung der Ampelphase im Prognosemodus.

Im Prognosemodus des ANM Use Cases können nicht nur die Zustandsschätzung und Optimierung für künftige Zeitpunkte berechnet werden, sondern es werden auch Berechnungen für Zeitreihen mit vorkonfigurierter Länge und Auflösung erfolgen. Damit kann dann die Dauer der Engpässe und somit die Dauer der notwendigen Nutzung der flexiblen Leistung vom Markt bestimmt werden. In der Regel erfolgt die Berechnung in einem 15-minütigen Zyklus auf Basis von kurzfristigen Wirkleistungsprognosen für maximal 24 Stunden im Voraus. Aus den Ergebnissen für eine Zeitreihenlänge werden die Daten für eine Flexibilitätsanfrage ermittelt. Die Anfrage wird bei Bedarf für jeden Zeitpunkt der Zeitreihe erstellt.

Abbildung 2: Prognosemodus des ANMs

Die Darstellung der Berechnungsergebnisse soll für den Verteilnetzoperator die zeitlichen Abläufe im Netz transparenter machen und aufzeigen, ob und wann kritische Zustände auftreten, ob die Betriebsmittel zur Netzoptimierung ausreichend sind und ob genug Flexibilität vorhanden ist, um prognostizierte Probleme zu lösen.

Es werden für das Active Network Management mächtige Funktionen entwickelt zur verbesserten Netzzustandsschätzung auf Basis von bereitgestellten Prognosewerten aus der enera-Region:

  • Neue Optimierungsfunktionen des Netzzustandes auf Basis der Netzzustandsschätzung
  • Konzeption und Software-Implementierung der Engpassauflösung mittels der Erzeuger für die grüne (Blindleistungsregelung) und rote Ampelphase (Wirkleistungsregelung) inklusive der Rücknahme der Abregelung.
  • Konzeption, Implementierung und Demonstration im Feldtest der Engpassauflösung mittels der Flexibilitäten für die Unterstützung der gelben Ampelphase.

Den Abschluss der Arbeiten wird mit den Funktionen der Runtime Data Validation auf Basis von künstlichen neuronalen Netzen vollzogen. Hier wird die Frage nach der Größe von Fehlern bei Netzzustandsschätzungen und deren Ursachen untersucht. In mehreren Kampagnen werden mit den Daten aus der enera-Region künstliche neuronale Netze trainiert mit dem Ziel der Erkennung bzw. der Eingrenzung der Ursachen für Zustandsschätzungsfehler. Dem Verteilnetzoperator werden Vorschläge zur Verbesserung des Netzes gemacht:

  • Anfordern von weiteren Messwerten und Intervallen im Netz
  • Verbessern der Konfiguration und der Konfigurationsparameter für das Netz

Die Ergebnisse aus den Entwicklungen am Active Network Management (ANM) sind in den Verteilnetzapplikationen der Spectrum Power Plattformen der Siemens AG hinterlegt und stehen den Anwendern nunmehr ausgetestet zur Verfügung.