Autoren: Björn Willers, Asset Management, EWE NETZ GmbH, Malte Pauels, Asset Management, EWE NETZ GmbH

Im Rahmen von enera wurde untersucht wie durch die Kopplung von Mittelspannungsnetzen die Übertragungskapazität des Stromnetzes optimiert werden kann.

Um die Transformation des Verteilnetzes zum Smart-Grid-Operator (SGO) erfolgreich zu gestalten ist es nötig Steuerungsmöglichkeiten für den SGO im Netz bereitzustellen. Durch diese Steuerungsmöglichkeiten kann der SGO in die Lage versetzt werden, die vorhandenen Übertragungskapazitäten des Stromnetzes optimal auszunutzen und dadurch den Eintritt in die gelbe/rote Ampelphase zu verzögern oder sogar zu verhindern. Im Ergebnis führt das dazu, dass die größtmögliche Menge an erneuerbarer Energie ins Netz aufgenommen werden kann. Eine mögliche Steuerungsmöglichkeit zur Maximierung der Übertragungskapazität ist die Kopplung von Mittelspannungsnetzen, welche im Rahmen von Enera untersucht wurde.

Szenarien zur Kopplung und Vorstudie zum supraleitenden Kurzschlussstrombegrenzer (sKSB)

Die Kopplung von Mittelspannungsnetzen ist bei EWE NETZ auf zwei Wegen denkbar. Zum einen können zwei Transformatoren, die sich im selben Umspannwerk befinden, direkt parallelgeschaltet werden (Fall 1) und zum anderen zwei Mittelspannungsnetze über eine dezentrale Schaltstelle im MS-Netz gekoppelt werden (Fall 2). Beim zweiten Fall wird davon ausgegangen, dass die zu koppelnden Transformatoren räumlich entfernt angeordnet sind. Beide Fälle haben das Ziel die Anschlusskapazität für dezentrale Erzeugungsanlagen (DEA) im MS-Netz zu erhöhen. Bei Fall 1 wird dies ermöglicht, indem die Rückspeiseleistung aus dem MS-Netz auf zwei Transformatoren aufgeteilt wird und somit eine Spitzenverteilung im Sinne der Belastungsspitzen praktiziert wird. Mit dem zweiten Fall wird durch die Verringerung der Netzimpedanz eine bessere Spannungshaltung erzielt, welche ebenfalls förderlich für den Anschluss von DEA ist.

Kopplung-MS-Netze-1

Abbildung 1: Darstellung der o.g. Fälle 1 und 2 in topologischer Anordnung sowie mögliche Einbauorte von Kurzschlussstrombegrenzern (sKSB)

Nachteilig in beiden Fällen ist, dass durch die Absenkung der Netzimpedanz der Kurzschlussstrom entsprechend steigt. Dadurch entsteht die Gefahr, dass die Kurzschlussfestigkeit der Betriebsmittel im MS-Netz erreicht bzw. überschritten wird, was zu einer Zerstörung der Betriebsmittel im Falle eines Kurzschlusses führen würde. In diesem Fall könnte ein sKSB zur Begrenzung des Kurzschlussstroms eingesetzt werden. Im Rahmen von enera wurde in einer Voruntersuchung zum sKSB zunächst geprüft, wo in der Modellregion ein solches Betriebsmittel technisch und wirtschaftlich sinnvoll eingesetzt werden kann. Für einen umfassenden Variantenvergleich wurde der Einsatz in mehreren MS-Netzen modelliert und netzplanerisch untersucht. Hierbei wurde jeweils die zukünftige Entwicklung (Zubau DEA…) berücksichtigt. In der Untersuchung hat sich gezeigt, dass die Höhe der Kurzschlussströme lediglich in Konstellationen, in denen mehrere gleichzeitige Veränderungen zum heutigen Betrieb getätigt wurden, eine unzulässige Höhe annimmt. Somit konnte in der Modellregion kein Anwendungsfall ermittelt werden, welcher heute oder in naher Zukunft den Einsatz eines sKSB technisch (sinnvoll) rechtfertigen würde (FGH e.V., 2017). Als Konsequenz wurde im Projekt Enera die Untersuchung der technischen Umsetzbarkeit zur Kopplung von Mittelspannungsnetzen ohne die Berücksichtigung des sKSB fortgesetzt und für die zwei oben genannten Fälle bewertet.

Fall 1: Kopplung innerhalb eines Umspannwerks

In circa 60 % der HS/MS-Umspannwerke der EWE NETZ GmbH befinden sich zwei oder mehr Transformatoren. Diese Transformatoren versorgen jeweils ein Mittelspannungsnetz, welche aktuell galvanisch getrennt betrieben werden. Hierfür gibt es verschiedene historische Gründe. Im Rahmen der oben beschriebenen Transformation des Verteilnetzes zum SGO ist die Kopplung im Umspannwerk interessant, um die vorhandenen Übertragungskapazitäten im Umspannwerk optimal ausnutzen zu können. Abbildung 2 und Abbildung 3 verdeutlichen dieses beispielhaft. Durch neue Einspeiser erhöht sich die Rückspeiseleistung an Trafo 1 von 50 MVA auf 70 MVA. Da der Transformator eine Bemessungsleistung von 63 MVA hat würde dessen Übertragungskapazität mit der zusätzlichen Einspeiseleistung überschritten werden. Mit den klassischen Methoden der Netzplanung müsste hier ein kostenintensiver Netzausbau oder –umbau erfolgen. In Abbildung 3 ist die Kopplung mit Trafo 2 als Alternative zum Netzausbau dargestellt. Durch die Kopplung verteilt sich die Einspeiseleistung auf beide Transformatoren. Eine Überschreitung der Übertragungskapazität kann dadurch verhindert werden. Die Kopplung könnte dauerhaft oder auch nur bei starker Einspeisung erfolgen, um den Eintritt in die gelbe/rote Ampelphase zu verhindern.

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Abbildung 2: Keine Kopplung der Transformatoren, zusätzliche DEA-Leistung übersteigt Übertragungskapazität (111 %)

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Abbildung 3: Kopplung der Transformatoren, zusätzliche DEA-Leistung teilt sich auf gesteigerte Übertragungskapazität auf

Im Idealfall ergibt sich die Gesamtleistung der gekoppelten Transformatoren aus der arithmetischen Summe der Einzelleistungen. Um die maximale Gesamtleistung zu erreichen, müssen die einzelnen Transformatoren weitestgehend identische technische Parameter aufweisen. Bei ungleichen Nennspannungen bzw. ungleichen Übersetzungsverhältnissen fließt innerhalb der Parallelschaltung ein Ausgleichsstrom (Kreisstrom). Dieser verringert die maximal mögliche Übertragungskapazität der gekoppelten Transformatoren. Auch durch ungleiche Transformatorimpedanzen und die daraus folgende ungleiche Verteilung des Laststroms, wird die maximale Gesamtleistung infolge der ungleichen Trafobelastung verringert. Um die vorhandenen Übertragungskapazitäten optimal ausnutzen zu können ergeben sich somit zwei Anforderungen für den Parallelbetrieb (A. Eberle GmbH & Co. KG, 2013):

  • Vermeidung/Minimierung des Kreisstroms
  • Vermeidung einer ungleichen relativen Belastung der Transformatoren

Diese Bedingungen werden erfüllt, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind (A. Eberle GmbH & Co. KG, 2013):

  • gleiche Nennspannung an der Ober- und Unterspannungsseite
  • gleiches Übersetzungsverhältnis
  • gleiche Schaltgruppenkennzahlen (oder um 180° verschoben)
  • gleiche Nennwerte der Kurzschlussspannung
  • Verhältnis der Nennleistungen nicht größer als 1:2

Unter Beachtung dieser Voraussetzungen verringert sich der Anteil der möglichen Umspannwerke bei EWE NETZ auf circa 5 %. Es kann also festgestellt werden, dass eine Kopplung unter diesen Voraussetzungen nur in bestimmten Einzelfällen möglich ist.

Um eine Parallelschaltung auch bei Umspannwerken, in denen die Transformatoren nicht die oben genannten Voraussetzungen erfüllen, einsetzen zu können, muss zusätzlich zur Spannung der Kreisblindstrom geregelt werden. Hierzu hat die Firma A. Eberle mit dem „ΔIsinΦ-Verfahren“ ein Regelprogramm entwickelt. Hierbei wird die Kreisblindstromregelung der Spannungsreglung überlagert, sodass es zusätzlich zur zulässigen Regelabweichung der Spannung auch einen zulässigen Kreisblindstrom als Begrenzung gibt. Eine zusätzliche Datenverbindung zwischen den Traforeglern und jeweils eine Strommessung ist erforderlich. Die Strommessung ist in den Umspannwerken von EWE NETZ bereits vorhanden, so das lediglich die Regler ausgetauscht und Datenverbindung nachgerüstet werden müssen. Mit diesem Regelverfahren können prinzipiell alle Transformatoren innerhalb eines Umspannwerkes bei EWE NETZ parallel betrieben werden.

Neben dem Regelverfahren gibt es auch noch andere Bedingungen, auf die im Folgenden kurz eingegangen wird:

  • Auswirkung von Kurzschlüssen: Da sich durch die Kopplung der Transformatoren der Aufbau des MS-Netzes nicht verändert, funktioniert der Netzschutz ohne Anpassungen weiterhin. Der einzige Unterschied ist die höhere Kurzschlussleistung. Die höheren Ströme im Fehlerfall begünstigen die Funktion des Netzschutzes sogar. Negativ ist einzig die größere Auswirkung des Spannungseinbruchs im Kurzschlussfall. Da die Kopplung aber direkt an der UW-Sammelschiene erfolgt, an der Spannungseinbrüche aufgrund der hohen Kurzschlussleistung gering ausfallen, werden auch hier keine kritischen Auswirkungen erwartet.
  • Auswirkung von Erdschlüssen: EWE NETZ betreibt die Netze kompensiert. Hierbei gelten für gekoppelte Netze die gleichen Einschränkungen wie bei nicht gekoppelten Netzen, bezogen auf die Netzgröße. Hierdurch wird die Möglichkeit der Kopplung eingeschränkt.
  • Zusätzlich gibt es weitere Bedingungen, wie z.B. die Funktion der Tonfrequenzrundsteueranlagen, des Einspeisemanagements, der BDEW-Kaskade, die für die Kopplung berücksichtigt werden müssen. Im Allgemeinen stellt die Kopplung hierfür kein Problem dar, es muss aber sichergestellt werden, dass die Technologien und Prozesse auch bei gekoppelten Transformatoren funktionieren

Zusammengefasst kann für den Fall 1 festgehalten werden, dass mit geringem Aufwand Netzausbaumaßnahmen durch die Kopplung verhindert werden können. Die Kopplung von Transformatoren innerhalb eines Umspannwerkes unterstützt also die Transformation des Verteilnetzes zum SGO.

Fall 2: Kopplung über das MS-Netz

Eine Kopplung verschiedener Transformatoren über das MS-Netz ist bei EWE NETZ unter Berücksichtigung bestimmter Rahmenbedingungen immer möglich. Wie bei Fall 1 können sich auch hier durch eine optimierte Lastaufteilung die Übertragungskapazitäten der vorhandenen Transformatoren optimal ausgenutzt werden. Zusätzlich hat die Kopplung aber auch einen positiven Effekt auf das MS-Netz. Hier würde die Spannungshaltung durch die Kopplung unterstützt werden.

Bei der Untersuchung dieses Falls wurden aber auch sehr schnell die großen Herausforderungen deutlich. Insbesondere die Möglichkeit einer Überlastung des MS-Netzes durch Transitflüsse aus dem HS-Netz kann unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht ausgeschlossen werden. Dies wäre z.B. bei einem Netzfehler im HS-Netz denkbar. Zusätzlich muss für eine dauerhafte Kopplung über das MS-Netz der Spannungswinkel an den HS/MS-Transformatoren bekannt sein, um dauerhafte Transite zu berechnen.

Um den beschriebenen Herausforderungen erfolgreich begegnen zu können, müsste die Zusammenarbeit zwischen HS-Netz und MS-Netz im Rahmen der Netzplanung und Netzführung deutlich ausgeweitet werden. Aber auch dann kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Kopplung über das MS-Netz grundsätzlich nur zu positiven Effekten führt und ein Risiko ausgeschlossen werden kann. Auf Grund des potentiell hohen Risikos wird dieser Fall nicht weiter untersucht und keine Umsetzung empfohlen.

Zusammenfassung

Durch die theoretische Betrachtung der Kopplung von Mittelspannungsnetzen konnte ein Konzept erarbeitet werden, mit dem die Kopplung innerhalb eines Umspannwerkes umgesetzt werden kann. Hierdurch wird ein positiver Effekt für die Ausnutzung der vorhandenen Übertragungskapazitäten erwartet. Eine Kopplung über das MS-Netz wird im Rahmen der Untersuchung als zu risikoreich eingestuft.

Auf Grundlage dieser Untersuchung wird die Umsetzung der Kopplung im Rahmen eines Feldtests empfohlen. Bei einem erfolgreichen Feldtest wird angestrebt, die Kopplung von MS-Netzen zukünftig bei der Netzplanung als eine weitere Lösungsmöglichkeit zu betrachten und zu bewerten.

Literaturverzeichnis

A. Eberle GmbH & Co. KG. (03 2013). Info-Brief Nr. 10 Spannungsregelung mit Stufen-Transformatoren im Parallelbetrieb an Sammelschienen (Teil 2). Nürnberg, Bayern, Deutschland. A. Eberle GmbH & Co. KG. (03 2013). Info-Brief Nr. 9 Spannungsregelung mit Stufen-Transformatoren im Parallelbetrieb an Sammelschienen (Teil 1). Nürnberg, Bayern, Deutschland. FGH e.V. (2017). Untersuchungen zu Anwendungsfällen von supraleitenden Kurzschlussstrombegrenzern in der enera-Modellregion. Mannheim.