Autoren: Dominik Dersch, Sonja Steiner, Henryk Pinnow, Andreas Walthes

Besonderheiten des Flexibilitätsmarkts aus Sicht eines Algo-Tradingsystems

Likron setzt für den enera-Markt sein automatisiertes Stromhandelssystem „Likron Automatic Execution Service“ ein. Die EPEX wiederum stellt für enera ihr Intraday-Stromhandelssystem M7 in der Ausprägung der Flexibilitätsplattform bereit, in der die Besonderheiten des enera-Marktes abgebildet sind.

Um einen Flexibilitäts-Testmarkt aufzubauen, sind somit schon weitgehende Voraussetzungen erfüllt. Von Likron wurden spezielle Anpassungen vorgenommen, um den besonderen Erfordernissen der regionalen Flexibilitätsmärkte gerecht zu werden.

Das folgende Schaubild zeigt die beteiligten Akteure, Märkte, Systeme und Schnittstellen:

Netzbetreiber und Flexibilitätsanbieter haben Zugang zu den  jeweiligen Marktplätzen über den Likron Execution Service, wobei die Netzbetreiber hier nur Zugang zum Flexibilitätsmarkt benötigen.

Der regionale Flexibilitätsmarkt weist einige Unterschiede zum herkömmlichen überregionalen kontinuierlichen Intradaymarkt auf, die im Folgenden diskutiert werden:

Eine Abweichung ergibt sich aus der Unterscheidung zweier Rollen von Marktteilnehmern: Netzbetreiber und Flexibilitätsanbieter. Gehandelt werden darf nur zwischen Marktteilnehmern mit unterschiedlichen Rollen. Flexibilitätsanbieter können daher nur mit dem Netzbetreibern handeln und nicht untereinander. Im Likron Execution Service wurde dieses Rollenkonzept umgesetzt. Dieser kann für beide Rollen konfiguriert und betrieben werden und steht somit den im enera-Markt aktiven Netzbetreibern und auch den Flexibilitätsanbietern zur Verfügung. In der Konfiguration „Netzbetreiber“ ist nur das Einstellen von Orders, mit denen Flexibilitätsbedarf angemeldet werden soll, sowie das Handeln auf bestehende Flexibilitätsangebote erlaubt.

Eine weitere Besonderheit ist die Klassifizierung der Energieerzeugung in Erneuerbare Energiequellen und Nicht Erneuerbare Energiequellen sowie die entsprechende Kennzeichnung von Geboten und Handelsgeschäften. Hintergrund dieser Kennzeichnung ist, dass die Netzbetreiber – im Rahmen von SINTEG/enera - vorzugsweise Flexibilität aus Nicht Erneuerbaren Energiequellen abschalten.  Um diese Regel abbilden zu können, dürfen nur Gebote derselben  Energieklasse zu einem Handelsgeschäft führen. Während der EPEX Flexibilitätsmarkt streng zwischen eigenen Kontraktarten mit separaten Orderbüchern unterscheidet, hat sich Likron für eine integrierte Sichtweise entschieden: Beide Energieklassen werden je Kontrakt in einem gemeinsamen Orderbuch dargestellt und farblich gekennzeichnet.

Aus dem Marktregelwerk folgt, dass Preise im enera-Markt i.d.R. (stark) negativ sind, um Flexibilitätsanbietern einen Anreiz zur Abschaltung und einen Ausgleich für den Rückkauf bereits eingeplanter und verkaufter Energiemengen zu bieten

Orderbuch

Um die Gebote von Flexibilitätsanbietern und von Netzbetreibern unterscheiden zu können, zeigt sie der Likron Automatic Execution Service im Orderbuch unterschiedlich an (kursive Schriftart). Gebote aus erneuerbaren Energiequellen werden grün dargestellt, aus nicht erneuerbaren schwarz:

Besonderheiten für Netzbetreiber

Der Likron Automatic Execution Service erlaubt nicht nur die manuelle Eingabe von Börsengeboten, sondern auch die Aktivierung automatischer Handelsalgorithmen („Strategien“), die über einen längeren Zeitraum den Markt beobachten und so zielgenau Börsengebote erstellen können, um einen bestmöglichen Durchschnittspreis zu erzielen.

Während Flexibilitätsanbieter bei solchen Strategien von vornherein die Energieklassifizierung festlegen müssen – sie wissen ja, ob sie eine Windkraftanlage oder ein konventionelles Kraftwerk abschalten würden – bietet Likron für Netzbetreiber an, sich hier nicht auf eine Energiequelle festlegen zu müssen. Die Intention des Netzbetreibers ist es, einen drohenden Engpass im Netz abzuwenden, wobei vorrangig Flexibilität aus Nicht Erneuerbarer Quelle aktiviert werden soll.  Die Strategie entscheidet dann selbständig beim Platzieren von Börsengeboten am Markt, welche Energieklasse zum Zuge kommen soll, abhängig vom aktuellen Preisgefüge und unter Beachtung der vorrangigen Abschaltung konventioneller Anlagen. Diese „Zweigleisigkeit“ ist nur für System Operators sinnvoll, da die beteiligten Energiequellen beim Abbau von Netzüberlastungen zweitrangig sind. Flexibility Provider hingegen verfügen über konkrete Anlagen, die genau einer der beiden Quellen zugeordnet sind, so dass sie die Energiequelle bei ihren Strategien fest vorwählen können.

Zur Optimierung der Handelsperformance stehen den Netzbetreibern spezifische Parametrisierungen der Algorithmen zur Verfügung. Schließlich werden weitere Feinheiten im Marktregelwerk unterstützt wie das Verbot für   Netzbetreiber sogenannte Iceberg-Börsengebote zu platzieren, bei denen nur ein Teil des Börsengebots im Markt sichtbar ist, eine große, nicht sichtbare Strommenge jedoch dennoch Priorität vor anderen sichtbaren Geboten hat.

Anwendungsfall: Automatisierte Redispatch-Geschäfte für Flexibilitätsanbieter

Um einen netzlastausgleichenden Effekt zu erzielen, sind Flexibilitätsanbieter in bestimmen Fällen verpflichtet, bei Ausführung eines Geschäfts auf dem enera-Markt, die entsprechende Menge am überregionalen Markt auszugleichen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn bei Überlastung eines enera-Netzgebietes ein Direktvermarkter die negative Flexibilität einer Anlage zur Verfügung stellt, deren erwartete Erzeugung bereits am Day-Ahead-Markt verkauft wurde. Kommt es zu einem Abruf der Flexibilität auf dem enera-Markt, muss der Direktvermarkter die day-ahead vermarktete Menge am überregionalen Intraday-Markt zurückkaufen.

Zur Reduktion des operativen Aufwands hat Likron eine Lösung für die Automatisierung solcher Redispatch-Geschäfte Marktteilnehmern zur Verfügung gestellt. Voraussetzung ist der Einsatz des Likron Execution Service sowohl für den enera- als auch für den überregionalen Intraday-Marktzugang. Die beiden Handelsautomaten kommunizieren dabei mittels einer API-Schnittstelle über erfolgte Handelsgeschäfte.

Optimierte Vermarktung von Flexibilitäten

Um einen netzlastausgleichenden Effekt zu erzielen, sind Flexibilitätsanbieter in bestimmen Fällen verpflichtet, bei Ausführung eines Geschäfts auf dem enera-Markt, die entsprechende Menge am überregionalen Markt auszugleichen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn bei Überlastung eines enera-Netzgebietes ein Direktvermarkter die negative Flexibilität einer Anlage zur Verfügung stellt, deren erwartete Erzeugung bereits am Day-Ahead-Markt verkauft wurde. Kommt es zu einem Abruf der Flexibilität auf dem enera-Markt, muss der Direktvermarkter die day-ahead vermarktete Menge am überregionalen Intraday-Markt zurückkaufen.

Zur Reduktion des operativen Aufwands hat Likron eine Lösung für die Automatisierung solcher Redispatch-Geschäfte Marktteilnehmern zur Verfügung gestellt. Voraussetzung ist der Einsatz des Likron Execution Service sowohl für den enera- als auch für den überregionalen Intraday-Marktzugang. Die beiden Handelsautomaten kommunizieren dabei mittels einer API-Schnittstelle über erfolgte Handelsgeschäfte.

Überblick

Der Likron Automatic Execution Service ermöglicht Flexibilitätsanbietern den vollautomatischen Handel ihrer verfügbaren Kapazitäten im Intraday-Markt. Exemplarisch wurden zwei Flexibilitätsquellen untersucht: Speicher wie Batterie- oder Pumpspeicher und flexible Kraftwerke wie CHP-Kraftwerke. Der erste Fall beschreibt eine Lastverschiebung durch eine befristete Be- oder Entladung eines Speichers, der zweite Fall ist grundsätzlich allgemeiner, weil - abgesehen von Nebenbedingungen wie Rampen – Kontrakte (Blöcke, H, HH oder Q) einzeln gehandelt werden.

Die Modellierung von Flexibilität berücksichtigt Randbedingungen wie Kontrakttyp, verfügbare Flexibilitätsbänder (bei Kraftwerken), Rampen bzw. nutzbare Kapazität, C-Werte für Laden und Entladen, Lade-, Endladeverluste, Anzahl Ladezyklen p.a., maximale zeitliche Speichernutzung (bei Speichern).

Intraday Handel

Zum kontinuierlichen, vollautomatischen Handel kommen sogenannte Strategieorders zum Einsatz, die beispielsweise nach festen oder variablen Grenzpreisschwellen, bzw. Preisspreads parametrisiert werden und automatisiert nach Algorithmen ausgeführt werden.

Wirtschaftlichkeitsanalyse mittels Backtesting-Framework

Die Wirtschaftlichkeitsanalyse des Flexibilitätshandels am EPEX Intraday-Markt erfolgt unter Berücksichtigung aller wesentlichen Faktoren wie z.B. Handelskosten, Speicherverluste, Market Impact und Latenzzeiten in einem eigens entwickelten Backtesting-Framework. Die Einschätzung der Wirtschaftlichkeit durch die Intraday-Vermarktung berücksichtigt die endliche Lebensdauer des Speichers (maximale Anzahl von Ladezyklen), erzielbare Ertrag pro Zeitraum und gehandelter Strommenge bzw. verfügbarer Flexibilität und vergleicht diese mit alternativen Vermarktungsstrategien wie Primärregelleistung.

Beispiele

Die untenstehenden Abbildungen zeigen exemplarisch je ein Beispiel für einen Speicher und ein flexibles Kraftwerk.

Batteriespeicher

Die Abbildung zeigt ausgeführte Trades (Kauf ¼ Stunden Kontrakt unterhalb der grünen Schwelle und Verkauf ¼ Stunden Kontrakt oberhalb der roten Schwelle, linke Skala Preis in €/MW) und den Ladezustand der Batterie (graue Linie, rechte Skala). Die x-Achse beschreibt die Anzahl der Trades (und nicht einen kontinuierliche Zeitstrahl).

Flexibles Kraftwerk mit und ohne Rampen

Die Abbildung zeigt die Entwicklung des Ertrags pro MW Flexibilität für feste Grenzkosten (40€), feste Flexibilitätsbänder für eine Erhöhung oder Reduktion der Kraftwerksleistung (¼ Stunden Kontrakte). Der Betrachtungszeitraum ist ein Jahr. Verglichen werden Kraftwerke mit unterschiedlich starken Ramp-Up und Ramp-Down Beschränkungen. Je unflexibler ein Kraftwerk ist, desto geringer ist sein Ertragspotential im Intradaymarkt. Eine 50%-Rampen-Beschränkung bedeutet hier, dass die erlaubte Fahrplanänderung je Viertelstunde auf 50% der verfügbaren Gesamtkapazität limitiert ist. Eine Erweiterung der Analyse auf den enera-Markt war leider nicht möglich aufgrund der geringen Datenbasis.

Fazit

Im Rahmen des enera-Projektes wurde demonstriert, dass ein automatisierter Handel nach Algorithmen auch in einem kleinteiligen, komplexen regionalisierten Markt für Systemdienstleistungen wirtschaftlich performant und technisch skalierbar und ausfallsicher 24/7 betrieben werden kann. Der Marktagent Likron Automatic Execution Service wurde für die spezifischen Anforderungen des Marktes und seiner Akteure angepasst und kam sowohl bei Netzbetreibern als auch bei Flexibilitätsanbietern erfolgreich zum Einsatz. Das wirtschaftliche Ertragspotential von Flexibilität in den kurzfristigen Marktsegmenten wurde in einem systematischen Backtest-Ansatz bestätigt und für relevante spezifische Anwendungsfälle (Speicher, Gaskraftwerke) ausgewertet. Der Backtest-Ansatz lässt sich ohne weiteres auf die enera-Flexibilitätsplattform erweitern. Eine quantitative Auswertung des Einflusses des enera-Marktes auf das Ertragspotential ist aufgrund der geringen Datenbasis nicht sinnvoll durchführbar