Autoren: Jöran Gertje, EWE NETZ GmbH

Wesentlich beteiligte Partner: EWE NETZ GmbH, AVACON Netz GmbH, TenneT TSO GmbH

Im Rahmen des Projektes enera wurde ein sogenannter Flexmarkt entwickelt, auf dessen Marktplattform Verhaltensänderungen bzw. Abweichungen in der Erzeugung oder dem Verbrauch von Energie im Vergleich zur ursprünglich geplanten Fahrweise einer Anlage gehandelt werden.

Im Vorfeld jeder Marktnutzung findet zur Sicherstellung eines effizienten und effektiven Einsatzes marktwirtschaftlich beschaffter Flexibilität und eines sicheren und zuverlässigen Stromnetzbetriebes eine Netzbetreiberkoordination mit den jeweils nachgelagerten Netzbetreibern statt. Da vorgelagerte Netzbetreiber den Netzzustand der jeweils nachgelagerten Netzbetreiber nicht kennen, besteht ohne Netzbetreiberkoordination die Gefahr, dass ein vorgelagerter Netzbetreiber durch nicht abgestimmte Maßnahmen Engpässe im nachgelagerten Netz verursacht.

Sofern dem kontrahierenden Netzbetreiber im vorgesehenen Marktgebiet keine weiteren Netzbetreiber nachgelagert sind, entfällt die Netzbetreiberkoordination im Vorfeld der Marktnutzung.

Ein Marktgebiet stellt dabei die niedrigste Aggregationsebene des enera Flexmarktes dar. Ein Marktgebiet entsprich dabei einem Trafobereich eines Umspannwerkes und umfasst alle am Flexmarkt zertifizierten Anlagen, die netztopologisch diesem Trafo zuzuordnen sind. Alle Anlagen innerhalb eines Marktgebietes haben eine identische Sensitivität auf einen Engpass.

Abbildung 1: Marktgebiete über Spannungsebenen (Quelle: Eigene Darstellung)

Zu Beginn des Projektes haben die Netzbetreiber mit einem vermaschten Stromnetz dem jeweils vorgelagerten Netzbetreiber einmalig eine Matrix mit Sensitivitäten im Standardschaltzustand für alle Netzverknüpfungspunkte bereitgestellt. Diese Matrix umfasst sämtliche Marktgebiete des jeweils nachgelagerten Netzbetreibers. Über etwaige Änderungen dieser Sensitivitäten stimmen sich die jeweils betroffenen Netzbetreiber ab.

Die Platzierung einer Kauforder bzw. -gebotes auf der Marktplattform durch einen Netzbetreiber setzt voraus, dass sämtliche ihm nachgelagerte, anschließende Netzbetreiber hierzu ihre Freigabe erteilen. Es ist Aufgabe des jeweiligen Netzbetreibers, von den ihm nachgelagerten Netzbetreibern die Freigabe einzuholen. Der jeweils kontrahierungswillige Netzbetreiber übermittelt dem ihm jeweils direkt nachgelagerten Netzbetreiber seine Anfrage zur Marktnutzung in einem gemeinsam festgelegten Datenformat. Diese Anfrage muss spätestens dreißig Minuten vor Marktnutzung und frühestens sechs Stunden vor Ende der Erbringung der Flexibilität dem jeweils nachgelagerten Netzbetreiber zugehen. Abweichend hiervon muss die Anfrage erst 15 Minuten vor Marktnutzung dem nachgelagerten Netzbetreiber zugegangen sein, wenn nur ein nachgelagerter Netzbetreiber in den Prozess involviert ist.

Die Anfrage muss neben dem Zeitraum mindestens Angaben über das oder die Marktgebiete  in denen der vorgelagerte Netzbetreiber Flexibilität erwerben will sowie die prognostizierte Menge der Flexibilität in MW je 15 minütiges Intervall enthalten.

Der nachgelagerte Netzbetreiber berechnet etwaige Kapazitätsbeschränkungen und teilt diese dem vorgelagerten Netzbetreiber mit. Die Kapazitätsbeschränkung entspricht den nutzbaren Kapazitätsbändern, die vom vorgelagerten Netzbetreiber durch die Marktnutzung nicht überschritten werden dürfen. Mit Mitteilung an den vorgelagerten erteilt der nachgelagerte Netzbetreiber insoweit die notwendige Freigabe für den Flexabruf über das mitgeteilte Volumen. Sollte durch die Anfrage ein Marktgebiet eines weiteren nachgelagerten Netzbetreibers für eine potentielle Flexibilitätserbringung in Frage kommen, fragt der angefragte Netzbetreiber seinerseits vorab etwaige Restriktionen des weiteren nachgelagerten Netzbetreibers mit Hilfe der Angaben über Marktgebiete oder Trafobereiche sowie der prognostizierten Menge an Flexibilität in MW je 15 Minuten ab. Auf Basis der jeweils zutreffenden Marktgebiete meldet der nachgelagerte Netzbetreiber dem jeweils vorgelagerten Netzbetreiber die entsprechend verfügbaren Kapazitätsbänder. Sollten die verfügbaren Kapazitätsbänder mehrerer nachgelagerter Netzbetreiber für ein Marktgebiet/Trafobereich nicht vollständig übereinstimmen, darf gegenüber dem vorgelagerten Netzbetreiber nur die minimale Freigabekapazität für die jeweilige Richtung freigegeben werden. Jeder Netzbetreiber kann von seinem direkt nachgelagerten Netzbetreiber verlangen, dass seine Anfrage innerhalb von 15 Minuten beantwortet wird, es sei denn der nachgelagerte Netzbetreiber muss seinerseits die ihm nachgelagerten Netzbetreiber in den Koordinationsprozess einbinden. In einem solchen Fall verlängert sich die Antwortzeit insgesamt entsprechend der zusätzlich zu involvierenden Netzbetreiber um je 15 Minuten.

Im folgenden Abschnitt wird der Prozess anhand eines Praxisfalls beispielhaft beschrieben.

2. Praxisfall

Angenommen wird folgende Situation:

TenneT verfügt über einen Engpass und durchläuft die gesamte Kaskade der Netzbetreiberkoordination, um am enera Flexmarkt tätig werden zu können. Der Prozess der dadurch bei den Netzbetreibern ausgelöst wird, wird am Beispiel von EWE NETZ bildlich in Abbildung 1 dargestellt.

  1. TenneT teilt seinem nachgelagerten Netzbetreiber (Avacon Netz) eine Engpassmeldung, verbunden mit dem Vorhaben, diese Engpasssituation über den enera Flexmarkt zu beheben, mit. Dazu versendet TenneT eine E-Mail mit einer XML-Datei, die Informationen über den Engpasszeitraum, betroffene Netzknoten sowie den geplanten Handelszeitraum mit den benötigten Flexibilitätsmengen (15 minütige Intervalle) enthält.
  2. Avacon ermittelt die für die Engpassbehebung in Frage kommenden enera Marktgebiete. Avacon Netz teilt EWE NETZ die Engpassmeldung von TenneT sowie die ermittelten Marktgebiete mit. Dies geschieht via E-Mail, die relevanten Daten befinden sich im Anhang dieser Mail in einer sogenannten XML-Datei.
  3. Die XML-Datei wird automatisiert von der Mail gelöst und auf einem eigens dafür eingerichteten Server abgelegt.
  4. Für die in der XML-Datei genannten Marktgebiete werden mittels der Einspeise- und Lastprognosen aus einer Zeitreihendatenbank Kapazitätsbeschränkungen innerhalb der Marktgebiete errechnet. Auf Basis der ersten XML-Datei und den errechneten Beschränkungen wird eine zweite XML-Datei mit Kapazitätsbeschränkungen erstellt.
  5. Die Kapazitätsbeschränkungen werden durch EWE NETZ dem vorgelagerten Netzbetreiber Avacon Netz mitgeteilt. Dies erfolgt erneut per E-Mail, in deren Anhang sich die erzeugte XML-Datei befindet.
  6. Avacon Netz wiederholt diesen Prozess und ermittelt wiederum Kapazitätsbeschränkungen.
  7. Avacon Netz teilt dem anfragenden Netzbetreiber TenneT die verfügbaren Kapazitäten je Marktgebiet via E-Mail mit angehängter XML-Datei mit.

Abbildung 1: Prozessablauf bei EWE NETZ (Quelle: Eigene Darstellung)

3. Fazit

Die Netzbetreiberkoordination, die im Rahmen des enera Flexmarktes entwickelt wurde, ist eine der Kernerrungenschaften des Projektes und wird auch über das Projektende von enera hinaus Bestand haben. So kann der Prozess im Rahmen des Redispatch 2.0 in sehr ähnlicher Form weiterbetrieben werden. Die beteiligten Netzbetreiber EWE NETZ, Avacon Netz und TenneT TSO haben somit Grundsätze für die zukünftige Engpassbewirtschaftung in Deutschland geschaffen und bewiesen, dass der in enera geschaffene Prozess massentauglich ist.