Autoren: Julian Radek (Universität Duisburg-Essen)

Implementierung lokaler Flexibilitätsmärkte in das Joint Market Model mit dem Ziel die Übertragbarkeit und den Nutzen des enera-Marktes zu quantifizieren

Einleitung

Zur Bewertung der Übertragbarkeit und des Nutzens des enera-Marktes für das deutsche Stromsystem, wurde das Strommarktmodell Joint Market Model (JMM) um die Funktionalität zur Simulation lokaler Flexibilitätsmärkte erweitert. So ist es möglich, die Wechselwirkungen des enera-Marktes mit dem zonalen Strommarkt innerhalb einer Modellrechnung zu untersuchen. Auch die Modellierung der lastseitigen Flexibilitäten, denen eine wichtige Rolle bei der marktbasierten Behebung von Engpässen zukommt, wurde in diesem Zuge weiterentwickelt. Basierend auf zwölf Szenarien[1] wurde die Übertragbarkeit und der Nutzen des enera-Marktes untersucht, um zu zeigen, dass die Abregelung Erneuerbarer Energien vermindert werden kann.

Joint Market Model

Das Joint Market Model (JMM) ist ein Strommarktmodell, das den europäischen Strom- und Wärmemarkt abbildet. Es ist seit über zehn Jahren in Forschung und Industrie im Einsatz und hat sich in vielen Projekten des Lehrstuhls für Energiewirtschaft der Universität Duisburg-Essen bewährt. Dabei wurde es stetig weiterentwickelt, um es neuen Herausforderungen anzupassen. Ursprünglich entwickelt wurde es im Projekt Wind Power Integration in Liberalised Electricity Markets und ist in der Programmiersprache GAMS (General Algebraic Modeling System) programmiert.

Im Modell wird eine stündliche Dispatch-Optimierung durchgeführt, d.h. die Erzeugungseinheiten werden mit dem Ziel eingesetzt, den Zielfunktionswert, also die Systemkosten, zu minimieren. Die Systemkosten ergeben sich dabei im Wesentlichen aus den variablen Kosten der Stromerzeugung, die auf Brennstoff- und CO2-Kosten basieren. Die Optimierung erfolgt unter der Berücksichtigung einer Vielzahl von Restriktionen. Angefangen von der Deckung der Strom- und Wärmenachfrage über die Vorhaltung von Reserve bis hin zu detaillierten technischen Restriktionen von Kraftwerken. Diese umfassen beispielsweise Startkosten, Mindestbetriebs- und -stillstandszeiten und Kraft-Wärme-Kopplung. Auch der Einsatz lastseitiger Flexibilitäten (Demand Side Management) kann im JMM berechnet werden. Demand Side Management (DSM) ist dabei als Speicher modelliert, der im Gegensatz zu konventionellen Speichern eine negativen Füllstand haben kann. Dies ermöglicht das zeitliche Aufschieben von Last zur Reduktion der aktuellen Stromnachfrage. Die Parametrisierung der DSM-Speicher erfolgt über einen minimalen und maximalen Speicherfüllstand sowie eine Speicherleistung für die Ein- und Ausspeicherung. Die Märkte, die im JMM modelliert sind, sind der Day-Ahead- und Intraday-Markt, der Regelleistungsmarkt und (regionale) Wärmemärkte. Das Modell liefert automatisiert einen umfangreichen Output in stündlicher Auflösung zur Analyse der Ergebnisse wie beispielsweise Day-Ahead- und Intraday-Preise, kraftwerksscharfe Stromerzeugung, Speicherfüllstände und Stromaustausch zwischen Marktgebieten.

Ein Hauptmerkmal des JMM ist die rollierende Planung. Diese ermöglicht es Unsicherheiten bei der Einspeisung von fluktuierenden Erneuerbaren Energien (EE) und Nachfrageabweichungen einzubeziehen. Die rollierende Planung bildet außerdem stilistisch das Verhältnis zwischen Day-Ahead- und Intraday-Markt ab. Sie besteht aus zwei Optimierungsschleifen, die abwechselnd aufeinander folgen. Der Optimierungszeitraum der Day-Ahead-Schleife umfasst 36 Stunden und beginnt um 12 Uhr des ersten Tages. Hier wird das Marktergebnis für den folgenden Tag bestimmt. Die Optimierungszeitraum der Intraday-Schleife beträgt hingegen nur 24 Stunden und beginnt jeweils um 24 Uhr. So kann das Eintreffen neuer Informationen nach Festlegung des Day-Ahead-Ergebnisses modelliert werden und es erfolgt eine Korrektur des Marktergebnisses am Intraday-Markt. Es können beispielsweise Kraftwerke hoch- oder heruntergeregelt werden oder der Stromaustausch zwischen Marktgebieten wird angepasst. Diese rollierende Planung wird üblicherweise für ein ganzes Jahr im Umfang von 8760 Stunden durchgeführt. In der folgenden Abbildung ist die rollierende Planung dargestellt. Für die Modellerweiterung im Zuge von enera ist insbesondere die Intraday-Schleife relevant, da hier der enera-Flexibilitätsmarkt zum Einsatz kommt.

Rollierende Planung

Abbildung 1: Rollierende Planung im JMM

Das JMM ist an eine mySQL-Datenbank gekoppelt, in der alle relevanten Daten gespeichert werden, und die automatisiert Input-Daten für das JMM ausschreiben kann. Hierfür wurden alle Daten aus dem enera-Szenariorahmen aufbereitet und eingepflegt. Für das europäische Ausland wurde im Wesentlichen auf Daten des Ten Year Net Development Plans (TYNDP) zurückgegriffen. Der geographische Abbildungsraum des JMM umfasst die 28 EU-Staaten (außer Malta und Zypern), Norwegen, Schweiz und den Balkan. Die Strommarktberechnungen, die in enera durchgeführt wurden, umfassten dabei 33 Staaten, wobei der enera-Markt nur in Deutschland implementiert wurde. Obwohl das JMM als Marktmodell konzipiert ist, können vereinfachte Netzrestriktionen abgebildet werden. So wird zum Beispiel die Übertragungskapazität zwischen den Staaten über Net Transfer Capacities (NTC) beschränkt. Außerdem besteht die Option den Austausch zwischen den Marktgebieten mittels Flow Based Market Coupling (FBMC) abzubilden. Von dieser Möglichkeit wurde im Zuge von enera Gebrauch gemacht, um die Netzrestriktionen in den Verteilnetzen zu modellieren. Betrachtet man den gesamten europäischen Strommarkt, können im JMM um die 7000 Kraftwerksblöcke eingesetzt werden. Zur Reduktion der Rechenzeit besteht die Möglichkeit einzelne Blöcke zu Kraftwerksgruppen zusammenzufassen.

Modellerweiterungen

Im Rahmen von enera wurde das JMM nun um die Funktionalität zur Abbildung lokaler Flexibilitätsmärkte erweitert. Modelltechnisch sind diese Flexibilitätsmärkte in der Intraday-Schleife angesiedelt, da Informationen zur Engpasssituation in den Verteilnetzen oft erst sehr kurzfristig zur Verfügung stehen und auf dem Day-Ahead-Markt in der Regel keine Rolle spielen. Dazu wurde eine Gleichung zur Deckung der Flexibilitätsnachfrage im Modell implementiert. Diese Flexibilitätsnachfrage ergibt sich aus den Netzberechnungen der Forschungsgemeinschaft für Elektrische Anlagen und Stromwirtschaft e.V. (FGH)[2]. Die FGH hat mit ihrem Netzgenerator acht typisierte Verteilnetze für Deutschland erstellt, die so gestaltet sind, dass sie einen möglichst genauen Querschnitt der realen Verteilnetze in Deutschland darstellen. Dies ermöglicht Skalierbarkeit und Übertragbarkeit des enera-Marktes auf Gesamtdeutschland, bei gleichzeitig übersichtlicher Anzahl von Verteilnetzknoten, die für eine Berechnung in einem Marktmodell dieses Umfangs notwendig ist. Anschließend wurde für jedes Szenario eine Netzberechnung durchgeführt. Dabei wurden Engpässe simuliert, die einerseits zur Abregelung Erneuerbarer Energien oder zu nicht gedeckter Nachfrage führten. Diese Ergebnisse stellten nun die Flexibilitätsnachfrage dar, die als Input im JMM verwendet wurde.

Die typisierten Verteilnetze der FGH wurden dazu in das JMM überführt. Es wurde also eine deutlich kleinteiligere geographische Granularität als üblich verwendet, da die Knoten in den Verteilnetzen einzelne Marktregionen im Modell darstellen. Eine Marktregion ist hier definiert als ein engpassfreies Gebiet, in dem Erzeuger einen gleichen Effekt auf kritische Netzelemente haben. Neben Einspeise- und Nachfragezeitreihen wurden aus der Netzberechnung der FGH Leitungsparameter und Sensitivitäten, sowie Informationen zu Engpässen und der Abregelung Erneuerbarer Energien bzw. nicht gedeckter Nachfrage übermittelt. Ziel war es nun, diese Netzengpässe im JMM marktbasiert zu beheben. Dazu wurde folgende Methodik angewendet: Im JMM wurde der Day-Ahead Markt zunächst ohne Netz-Restriktionen berechnet. Dabei wurde die Summe der EE-Einspeisungen und Nachfrage pro Region betrachtet und Demand Side Management (DSM) sowie alle Erzeuger berücksichtigt. So ergab sich ein zonales Marktergebnis, das für alle innerdeutschen Regionen gleich ist. In der Intraday-Schleife wurden nun die Netzrestriktionen aktiviert. Unter Berücksichtigung der noch verfügbaren Übertragungskapazitäten sowie abgeregelter EE-Einspeisung und nicht gedeckter Nachfrage wurde eine optimierte Berechnung inklusive aller verfügbaren Flexibilitäten durchgeführt. Die Netzrestriktionen wurden mittels FBMC-Parameter abgebildet, bei denen die Auswirkungen einer Einspeisung an einem Knoten auf alle Leitungen des Netzes berücksichtigt werden. Dazu wurden aus den Sensitivitäten der Netzberechnung Power Transfer Distribution Factors (PTDF) berechnet. Der Preis in der jeweiligen Marktregion ergab sich dann aus der dualen Lösung („Schattenpreis“) der Flexibilitätsnachfragegleichung. Neben den Preisen kann auch die durch den Einsatz von lokalen Flexibilitätsmärkten vermiedene Abregelung Erneuerbarer Energien bestimmt werden, indem man die nach der Marktberechnung durchgeführte Abregelung mit der initialen Abregelung aus der Netzberechnung vergleicht.

Eine wichtige Rolle bei der markbasierten Behebung von Engpässen kommt den nachfrageseitigen Flexibilitäten zu. Das Institut für vernetzte Energiesysteme (DLR) stellt im Rahmen des Projektes detaillierte Daten zum DSM bereit[3]. Das DLR modelliert DSM dabei als Speicheräquivalente, die über eine minimale und maximale gespeicherte Energiemenge sowie minimale und maximale Speicherleistung verfügen. Diese Parameter wurden vom DLR in stündlicher Auflösung und nach Sektoren aufgeteilt bereitgestellt. Um diese Parameter ebenso detailliert im JMM zu implementieren, wurde auch hier das Modell weiterentwickelt. Es erfolgte eine Erweiterung der bisher zeitunabhängigen Modellierung um eine Zeitkomponente, die die vollumfängliche Nutzung der DLR-Daten und somit eine detailliertere Abbildung von DSM ermöglicht. Dazu wurden die Parameter des DLR in Zeitreihen der Verfügbarkeit umgewandelt, die im JMM mit den entsprechenden DSM-Parametern multipliziert wurden.

Anwendung

Um den Nutzen und die Übertragbarkeit des enera-Marktes zu quantifizieren, wurden mit dem JMM insgesamt 24 Strommarktberechnungen durchgeführt. Für die drei Simulationsjahre 2030, 2040 und 2050 und jeweils vier Szenarien, wurden Marktsimulationen mit aktiviertem enera-Flexibilitätsmarkt gerechnet. Als Vergleich dienten weitere zwölf Berechnungen ohne dem enera-Flexibilitätsmarkt, bei denen die Engpässe nicht marktbasiert behoben werden konnten. Der Nutzen ergab sich somit aus der vermiedenen Abregelung erneuerbarer Energien im Vergleich zum jeweiligen Referenzszenario. Weitere interessante Kenngrößen, die durch die Marksimulationen ermittelt werden konnten und zur Bewertung des enera-Marktes beitragen, sind die Gesamtsystemkosten des Optimierungszeitraumes, die Engpassrenten je kritischem Netzelement sowie Produzenten- und Konsumentenrenten.

Aus den Ergebnissen der Strommarktberechnungen lässt sich ableiten: Durch den Einsatz des enera-Marktes lässt sich die Abregelung erneuerbarer Energien verringern. Eine detaillierte Ergebnisdarstellung und die Rückschlüsse, die sich daraus ableiten lassen, werden in der enera-Roadmap veröffentlicht.

[1] Lösungselement des Ökoinstituts „enera-Roadmap und enera-Szenarien“

[2] Lösungselement der FGH e.V „Systemstudie zur zukünftigen Betriebsplanung aktiver Verteilnetze“

[3] Lösungselement des DLR „Quantifizierung des deutschlandweiten verbraucherseitigen Flexibilitätspotentials“