Autoren: Frank Glanert (EWE AG)

SAM und App

Das smarte Auslese- und Kommunikationsmodul - kurz SAM - kommt auf der Basis einer modernen Messeinrichtung (mME) zum Einsatz. Die im Projekt enera entwickelte Technologie nutzt dabei die standardmäßige, optische Schnittstelle der mME, über die sekündlich Informationen zum aktuellen Stromverbrauch bereitgestellt werden. Diese Daten werden ausgelesen und in eine Cloud hochgeladen, wo sie für die Nutzung beispielsweise durch die enera App, oder die kommunale Webanwendung zur Verfügung stehen. Außerdem werden die anonymisierten Daten auf diese Art und Weise von den Experten ausgewertet und mit weiteren Daten kombiniert, um Zusammenhänge und Muster zu erkennen. Zum Beispiel in Bezug auf Korrelationen von Tagesverlauf und Energieverbrauch, saisonale Schwankungen oder das Verhalten in vergleichbaren Siedlungsgebieten oder ganzen Kommunen. Dies soll in Zukunft dabei helfen, die regional erzeugte Energie optimal vor Ort einzusetzen.

Das Potenzial aus der App zum Monitoring des eigenen Energieverbrauchs ist groß. Mit den sekündlichen Werten stehen Livedaten des eigenen aktuellen Verbrauchs zur Verfügung. Zudem können historische Daten gesammelt und kumuliert werden, um präzise Auswertungen über das Verbrauchsverhalten über beliebige Zeiträume - also zum Beispiel der letzten Tage, Wochen oder Monate - zu erhalten. Es ergeben sich folgende Möglichkeiten zur Optimierung des hauseigenen Stromverbrauchs:

  • Beobachtung und Anpassung der Grundlast eines Haushalts oder einer Liegenschaft
  • Identifizierung von Stromfressern im Haushalt (ohne Einsatz von zusätzlichen Messgeräten)
  • Automatisierte Energieberichte und Energiemanagement kommunaler Liegenschaften
  • Analyse von Verhaltensmustern, die zu unnötig hohem Stromverbrauch führen
  • Nachvollziehbarkeit und Anpassung des eigenen Nutzungsverhaltens

Alle diese Punkte bieten bereits gute Chancen zur Optimierung des Verbrauches und der Annäherung an das Thema Energie.

Mit SAM, der enera App, sowie der kommunalen Webanwendung haben Teilnehmende unmittelbar einen Nutzen aus dem Projekt und können gleichzeitig das Demonstrationsvorhaben enera durch die Bereitstellung ihrer anonymisierten Daten ermöglichen.

Ursprünglich war im Projekt enera der Einsatz intelligenter Messsysteme (iMsys) geplant, deren Einbau auf Basis des Gesetzes zur Digitalisierung in der Energiewirtschaft quasi mit Beginn des Projekts 2017 starten sollte. In der enera Modellregion war eine Kombination aus so genannten Pflichteinbaufällen, sowie freiwilligen Einbaufällen vorgesehen. Freiwillige Teilnehmende für die Verbrauchsdatenerfassung mussten zunächst für das Projekt enera, sowie eine Mitwirkung am Feldtest begeistert werden - unter anderem indem sie frühzeitig und aktiv in das Projekt eingebunden wurden und indem sich das Projektteam an ihren Wünschen und Vorstellungen orientieren wollte. Die BSI-Zertifizierung der intelligenten Messsysteme verzögerte sich - sie standen weder 2017 noch im Verlaufe des Jahres 2018 zur Verfügung. Die gewünschte breite Durchdringung in der enera Modellregion stand auf dem Spiel und man entschied sich zu handeln. Kein leichter Weg mit einigen Hürden. Im Interview erläutert Gesamtprojektleiter Ulf Brommelmeier (UB), wie sich das angefühlt hat.

Frage: Wann wurde klar, dass enera handeln musste und wie sah die Entscheidungsfindung aus?

UB: Wir hatten im Zuge des gesetzlichen Rollouts auf eine zeitnahe und breite Beteiligung der Bevölkerung und auch des Gewerbes und der Industrie am Projekt enera gesetzt. Wir wussten, dass die anvisierte Zahl von bis zu 30.000 intelligenten Messsystemen ambitioniert war. Aber es erschien uns nicht unmöglich durch Konzentration des Ausbaus durch EWE NETZ auf die Modellregion und eine aktive Ansprache und Öffentlichkeitsarbeit diese Zahlen zu erreichen. Das Interesse an enera war auch im ersten Jahr schon sehr hoch. Und dann mussten wir anfangen den Menschen zu erklären, warum es mit der Teilnahme schwierig wird. An manchen Orten waren wir mit gezielten Aktionen schon zum dritten oder vierten Mal und die Presse fragte uns: was wird denn nun? Spätestens zum Sommer 2018 war klar: entweder stellen wir selber etwas auf die Beine oder wir müssen diesen Teil - einen aus meiner Sicht zentralen Baustein von enera - fallen lassen. Letzteres war keine Option und darum haben wir gehandelt.

Frage: Wie muss man sich das konkret vorstellen?

UB: Nun, wir haben alle für uns aus eigener Kraft erreichbaren Optionen durchgespielt – ob Geräte selbst herstellen, die Vergabe einer eigenständigen Lösung oder die Prüfung einer am Markt verfügbaren technisch gereiften Lösung. Wir hatten uns bis dahin bereits intensiv mit Hard- und Software beschäftigt und wollten auch auf Basis der zertifizierten Geräte den Funktionsumfang und damit den Nutzen für das Projekt und natürlich den Anwender deutlich erhöhen. Insofern hatten wir einen guten Überblick und technischen Einblick. Wir haben letztlich ein gutes Dutzend Lösungen gegenübergestellt, technisch und wirtschaftlich bewertet und sind so schnell wie möglich in die Umsetzung gegangen. Am Ende ist es eine Technologie auf Basis einer im schweizerischen Markt bereits etablierten Lösung geworden.

Frage: Klingt nach einem Selbstläufer

UB: Oh, keineswegs! Das war ein harter und steiniger Weg und am Ende hatten wir auch tatsächlich auch Glück. Die Evolution und technische Bewertung haben wir komplett neben unserem üblichen Projektbusiness geleistet und erste Versuche gingen auch regelrecht daneben. Nicht alles was machbar scheint oder sich auf dem Papier erfolgreich liest, kann dann auch einen Praxistest bestehen. Und neben den technischen Fragestellungen ergaben sich auch weitreichende organisatorische und inhaltliche Anforderungen - bis hin zu rechtlichen Fragen, wie Datenschutz und Informationsbereitstellung. Wir haben mit der Entscheidung etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, den vorgezeichneten und „ausgeschilderten“ Weg komplett verlassen, weil dieser Weg sich als Sackgasse erwies. Aber unser Plan B musste vollständig neu gestaltet werden. Von der Ansprache der Teilnehmer samt Vereinbarungen, über die technische Integration, die Implementierung vor Ort und ins System, Einbauprozesse, Support und nicht zuletzt die erforderliche App zur Visualisierung. Eine Aufzählung wird hier immer unvollständig bleiben, weil wir alleine über 100 Prozessschritte identifiziert haben, die ganz neu aufgesetzt werden mussten. Über die Hälfte davon hatten mit der Teilnehmerkommunikation und -interaktion zu tun. Und wie gesagt: am Ende hatten wir Glück. Das einzige verbliebene System unserer Evaluation konnte zum Jahresende erfolgreich pilotiert werden. Deutlich verspätet aber rechtzeitig auf dem Weg zur Zielgeraden - Anfang 2019 konnte man sich als Teilnehmer für enera anmelden.

Frage: Okay, das klingt wirklich nach einem ambitionierten Unterfangen. Was ist das größte Learning aus dieser krassen Wendung innerhalb des Projekts?

UB: Keiner konnte damit rechnen, dass enera in einem Kernbereich trotz verschiedener flankierender Gesetzgebungen an der mangelnden Verfügbarkeit von Zertifizierungen zu scheitern drohte. Wir haben natürlich zu Beginn verschiedene Risikoszenarien bewertet - dieses war wirklich unwahrscheinlich. Zumindest dachten wird das damals. Am Ende haben wir im Grunde gehandelt wie ein Start-up: alle wichtigen Bausteine, Maßnahmen und Prozesse bis hin zur App und zum Support sollten in einer Hand liegen. Das mussten wir sehr schnell lernen und es hat uns Einiges abgefordert. Wie gesagt: heute würden wir von Anfang dafür Sorge tragen, dass wir die Ausgestaltung unseres Plans variieren können. Nur auf diese Art und Weise konnten wir auf Basis von Daten, die uns die Teilnehmer „gespendet“ haben, datenbasierte Lösungen entwickeln. Und auch die Teilnehmer wissen nur durch ihre Teilnahme am Feldtest zur Verbrauchserfassung und die enera App, wie sich das mit dem nächsten großen Schritt der Energiewende anfühlt.

Frage: Ist die Lösung rund um SAM und die eigene App dann nur eine Art Notlösung oder bietet sie dem Nutzer auch Vorteile?

UB: Für uns als enera stand der Teilnehmer und damit der Nutzer einer Schnittstelle immer klar im Vordergrund. Diese Überzeugung haben wir in die Gestaltung der Arbeitspakete und in die Ansprache vor Ort mitgenommen. Uns ist bewusst, dass das Thema Energie bei den meisten Menschen heute eine untergeordnete Rolle spielt. Und wir denken, dass eine echte Energiewende nur dann gelingt, wenn der Nutzer auch für sich klare Vorteile erkennt und diesen Bereich aktiv mitgestaltet. Daher haben wir eine App entwickelt, die neben den aktuellen auch die aufgezeichneten Verbrauchswerte der letzten Stunden, Tage und Wochen wiedergibt. Auch die Kosten kann man mit der App überwachen und es gibt verschiedene andere Funktionen, die es dem Nutzer erlauben sich der Thematik anzunähern. Technisch ist ein wesentlicher Vorteil der Lösung, dass der Verbrauch sekundengenau erfasst wird. Der Teilnehmer kann also durchs Haus gehen und einfach Geräte einschalten, deren Verbrauch ihn interessiert. In derselben Sekunde kann er aus dem Delta in der Anzeige auf dem Smartphone den Verbrauch ablesen.

Wir haben viele spannenden Reaktionen auf die App und SAM bekommen. Wir haben Grillabende veranstaltet, in deren Rahmen sich die Teilnehmer ehrlich begeistert gezeigt haben über die Möglichkeit, die die Kombination bietet. Manche haben die Anwendung genutzt, um der Ursache zu hoher Stromverbräuche auf die Spur zu kommen und andere haben beim Einbau spontan gesagt: „Morgen backe ich Brot!“ Auf unsere verwunderte Nachfrage hin erklärten sie uns dann, dass sie immer schon einmal wissen wollten, ob sich das Selberbacken auch kostenmäßig lohnt. Und mit der Übersicht kann man den eingesetzten Strom jetzt mit den Kosten beim Bäcker vergleichen. Mit solch einer breiten Palette unterschiedlicher Reaktionen konnte man vorher nicht rechnen. Und eben aus diesem Grund war es wichtig den Versuch zu starten und tatsächlich zu demonstrieren. Nur so bekommt man einen Eindruck davon, was die Menschen sich vorstellen können und worauf sie Lust haben.